«Pflanzliche Proteine aus der Schweiz? Wir können liefern»
Pflanzliche Proteine aus Schweizer Anbau sind ein viel diskutiertes Thema. Die fenaco engagiert sich und will einen neuen Markt schaffen.
Text: Samuel Eckstein
Der Anteil pflanzlicher Alternativen zu Fleisch am Gesamtmarkt verdoppelte sich in den letzten fünf Jahren, liegt allerdings mit rund drei Prozent weiterhin im Nischenbereich. Die Anzahl Personen, die von sich sagen, bewusst mehrmals pro Monat auf Fleisch, Fisch, Milch, Käse und Eier zu verzichten, stieg gemäss dem Coop Plant Based Food Report 2024 von 40 Prozent im Jahr 2012 auf 58 Prozent im Jahr 2023 – wobei es im letzten Jahr einen leichten Rückgang gab. Bisher werden die Rohstoffe für die Alternativprodukte hauptsächlich importiert – obwohl vielen Konsumentinnen und Konsumenten die Schweizer Herkunft von Lebensmitteln wichtig ist. Das könnte sich nun ändern. «Wir sehen seit zwei bis drei Jahren positive Signale in der Lebensmittelindustrie für Schweizer Rohstoffe», sagt Michel Nick, Leiter Innovation in der Division Lebensmittelindustrie der fenaco.
Was braucht es, damit die zunehmende Nachfrage nach pflanzlichen Alternativen zu einer Geschäftsmöglichkeit für die Schweizer Landwirtinnen und Landwirte wird? Claude Winter, Mitarbeiter Innovation in der Division Lebensmittelindustrie der fenaco, nennt vier Faktoren für den Erfolg von pflanzlichen Alternativprodukten: Preis, Geschmack, Textur sowie eine leichte und bekannte Handhabung. Mit Innovation und neuen Technologien arbeiten Industrie und Start-ups an Verbesserungen von Geschmack und Textur. Auch die Handhabung der Produkte wird laufend vereinfacht, denn durchsetzen wird sich nur, was sich von Industrie und am heimischen Herd einfach einsetzen lässt. Eine wichtige Rolle spielt aber auch der Preis. Sind die Konsumentinnen und Konsumenten bereit, für Rohstoffe aus Schweizer Herkunft mehr zu bezahlen, und reicht dies für den wirtschaftlichen Anbau auf den hiesigen Feldern?
Wertschöpfung in der Schweiz
Die fenaco will es wissen und liess 2023 erstmals pflanzliche Proteinkulturen für die menschliche Ernährung – wie zum Beispiel Eiweisserbsen – im Vertragsanbau produzieren. «Wir glauben im Grundsatz an das Potenzial von pflanzlichen Rohstoffen aus der Schweiz für den menschlichen Verzehr und wollen den Abnehmern Rohstoffe aus Schweizer Produktion anbieten können», betont Jasmin Meile, Leiterin Ressort Handel Lebensmittelrohprodukte, bei fenaco GOF. Mit dem neu lancierten Vertragsanbau für Eiweisserbsen will die fenaco Genossenschaft einen Markt schaffen – und trägt in der Anfangsphase einen wesentlichen Anteil des unternehmerischen Risikos für ihre Mitglieder.
«Bei der Qualität der Erbsen haben wir dazugelernt und ein sehr hohes Qualitätsniveau erreicht.»
Martin Schmid, LANDI Seeland
Die Beteiligung der Landwirtschaftsbetriebe war erfreulich: Die Vertragsmenge belief sich auf rund 600 Tonnen Eiweisserbsen und 50 Tonnen Ackerbohnen unter dem Label «Suisse Garantie». Ein wesentlicher Teil dieser Produktionsmenge wurde von der LANDI Seeland unter Vertrag genommen. Deren Vorsitzender der Geschäftsleitung und Leiter Agrar, Martin Schmid, unterstreicht die Faktoren Qualität und Preis für den Markterfolg des neuen Angebots. «Bei der Qualität der Erbsen haben wir dazugelernt und mit geeigneten Massnahmen wie etwa Spezialsieben ein sehr hohes Qualitätsniveau erreicht», sagt der Seeländer. «Es braucht aber auch einen interessanten Preis für unsere Produzentinnen und Produzenten.» Zurzeit erhalten diese für Eiweisserbsen für den menschlichen Verzehr etwa doppelt so viel wie für Futtererbsen. Die Rechnung könnte aufgehen – zumindest haben sich alle Erstlieferanten der LANDI Seeland AG für eine weitere Saison verpflichtet.
«Pflanzliche Proteine aus der Schweiz? Wir sind lieferfähig», sagt Meile mit Blick auf die erste Saison. Bereits wurden diverse Verarbeiter mit Proben von Eiweisserbsen und Ackerbohnen beliefert, damit sie die Produktion von Lebensmitteln testen können. So interessiert sich auch Frigemo für pflanzliche Alternativen. «Wir beobachten den Markt genau und haben erste Produkte in der Pipeline», sagt Renate Schaffner, Leiterin Marketing und Verkauf des fenaco Tochterunternehmens. Produkteinführun gen stehen an, sind aber zurzeit nicht spruchreif. Fest steht aber bereits jetzt: fenaco GOF führt den Vertragsanbau von Eiweisserbsen für die menschliche Ernährung in der Ernte 2024 für ein weiteres Jahr fort. «Um dieses Marktpotenzial zu entwickeln, werden wir einen langen Schnauf brauchen», so Jasmin Meile. «Noch spüren wir bei den Verarbeitern Unsicherheit und eine gewisse Zurückhaltung, da die Zahlbereitschaft der Konsumentinnen und Konsumenten für Produkte mit Rohstoffen aus Schweizer Produktion noch nicht geklärt ist.»
YUP – Fleischalternative auf der Basis von Schweizer Biertrebern
Dass Innovationen mit pflanzlichen Alternativen aus Schweizer Herkunft in die Schweizer Ladenregale gebracht werden können, zeigt Ernst Sutter. Seit Ende Januar 2024 ist die vegane Produkt linie YUP des fenaco Tochterunternehmens in verschiedenen Varianten bei Volg und Spar erhältlich. Im Frühjahr 2024 ziehen weitere Detailhändler nach. Der pflanzliche Hauptbestandteil der Produkte sind Schweizer Biertreber in zertifizierter IP-Suisse-Qualität. Ernst Sutter produziert die YUP-Produkte am Standort Geuensee (LU). Das Rohmaterial bezieht das Unternehmen vom Start-up Circular Food Solutions, das die Biertreber der Brauerei Chopfab aus Winterthur (ZH) verarbeitet. Damit bleibt die Wertschöpfung komplett in der Schweiz.
«Pflanzliche Alternativen verdrängen tierische Proteinquellen nicht, sondern ergänzen sie.»
Claude Winter, fenaco
Ist dieser Schritt eine Abkehr der fenaco von der Tierhaltung und -verarbeitung? «Keineswegs», sagt Michael Sedda, Leiter Marketing bei Ernst Sutter. «Tierische Lebensmittel bleiben das Kern geschäft von Ernst Sutter. Gleichzeitig wollen wir einem wachsenden Kundenbedürfnis nach pflanzlichen Alternativen nachkommen.» Und Winter pflichtet ihm bei: «Die pflanzlichen Alternativen werden tierische Proteinquellen nicht verdrängen, sondern ergänzen. Mit dem aktuellen Bevölkerungswachstum sind pflanzliche Alternativen dringend nötig.»