
EDITORIAL
Liebe Leserin, lieber Leser
Gott ist Richter. Er richtet auf, er richtet aus. «Gott ist der Begnadiger und der Begradiger», schrieb factum-Autor Roman Nies einmal. Ein Beispiel dafür ist der französische Philosoph Fabrice Hadjadj. Er war ein glühender Atheist, ein Nihilist. Hadjadj entstammt einer jüdischen Familie, die aber mit dem Judentum nichts zu tun hatte. Seine Eltern, berichtet er, folgten einer linken Weltanschauung: «Zuhause hatten wir keine Bibel, dafür die Werke von Marx.» Als sein Vater im Sterben lag, fand Fabrice Hajadj zum Gebet. Heute glaubt er an den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der in Jesus Christus Mensch wurde. Auf seine Bekehrung angesprochen sagte er: «Gott bekehrt uns durch seine ganze Schöpfung. Eine Bekehrung ist in Wahrheit nur ein Sich-bewusst-Werden, denn die Wirklichkeit bleibt immer die gleiche.»
Als paradox hat er es erlebt, dass er erst als Christ wirklich seine jüdische Identität entdeckte. Er vertraue Jesus, sagt Hadjadj, und darauf, dass er Menschen zu sich ziehe. «Wissen Sie, warum? Weil ich der Mensch war, der Christus am fernsten stand, dessen Bekehrung am unwahrscheinlichsten war, ich war erbittert antiklerikal.» Sind Gottes Wege nicht wunderbar? Es gibt Umkehr von Abwegen. Heute verweist Hadjadi darauf, dass es gerade den Menschen ausmacht, dass er über die Natur hinausgeht. Die Haltung des betenden Menschen sei die Haltung des Menschen schlechthin. Wie recht er damit hat, der kluge, der klug gewordene Philosoph!
«Eine Bekehrung ist in Wahrheit nur ein Sich-bewusst-Werden, denn die Wirklichkeit bleibt immer die gleiche.»
Fabrice Hadjadj, französischer Philosoph
Eine Gesellschaft, die sich von Gott abkehrt, verliert diese Klugheit. Sie verrennt sich in ein nachchristliches Neuheidentum, in Selbsterlösungsfantasien, die ins Nichts führen. Der Theologe Ralf Frisch schreibt, die deutsche Gesellschaft und ihre evangelische Kirche suche, statt in der Bibel, in der klimaapokalyptischen Vision nach lebens- und weltbedeutenden Inhalten. In dieser Selbstprofanisierung habe die säkularisierte Gesellschaft und ihre Kirche ihre metaphysische Substanz «verdünnisiert». Während die Frage nach Gott niemanden mehr hinter dem Ofen hervorlocke, gelte «für den unmittelbar bevorstehenden Weltuntergang und seine mögliche Abwendbarkeit das genaue Gegenteil». Er spricht von einer «unheilserwartungsschwangeren Verblendung mit religiösen Zügen». Als Sünder gelte heute, wer für Nüchternheit, für kluge politische und technologische Schritte statt überhitzte Radikallösungen plädiere. Jetzt gelte es, die Katastrophenszenarien zu «ent-eschatologisieren, um klarer zu sehen und angemessener zu denken und zu handeln». Dazu sei es notwendig, «das Tabu vernünftiger, gebotener und sinnvoller Kritik» an der herrschenden Klimaschutzsemantik und -hysterie zu brechen, so der Theologieprofessor.
In völliger Verkennung, was wirklich ein Problem, was Sünde ist, motiviert und drängt das Familienministerium der Merkel-Regierung Eltern, Pädagogen und Einrichtungen, die Einfluss auf Kinder haben, mit einem «Regenbogenportal» den Abwegen der «LSBT- und Gender»-Lobby zu folgen – und spricht von «Elter 1» und «Elter 2». Hedwig von Beverfoerde von der Familienhilfs-Organisation «Demo für Alle» kritisiert das als «monströs» und fordert eine «Willkommenskultur für Kinder». factum-Leser Rainer Dietrich aus dem schweizerischen Menziken schreibt: «Wir rühmen uns, die Todesstrafe abgeschafft zu haben. Doch das stimmt in Bezug auf den ungeborenen Menschen nicht. Sogar unser Rechtssystem wird dafür ausgehebelt: Es gibt keinen anwaltlichen Beistand, kein Gerichtsverfahren, keine Revision, keine Begnadigung, einfach nichts, was dem ungeborenen Menschen zu seinem Recht verhilft, am Leben bleiben zu können und geboren zu werden.» Das ist die Lage: keine Begnadigung für menschliches Leben; sündlos, wer es tötet. Gibt es Umkehr von solchen Abwegen? Gott ist Begnadiger, Begradiger – und Richter.

Ihr Thomas Lachenmaier, Redaktionsleiter
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