Ackerbau in der Zeitenwende
Umwelt- und Klimaschutz durch Landwirte bleiben wichtig, obwohl Konsumenten und Staat angesichts der »Zeitenwende« weniger dafür zahlen dürften als erhofft bzw. benötigt. Auflösen lässt sich dieses Dilemma nur durch mehr Effizienz, sagt Alfons Balmann.
Der Ackerbau muss sich verändern. Grundsätzlich ist das nichts Neues, denn er verändert sich stetig. Allerdings entfalten die Treiber des Wandels eine enorme Dynamik:
- Auch als Folge von Klimawandel-bedingten Witterungsturbulenzen sind etwa beim Weizen seit Anfang des Jahrtausends in Deutschland keine nennenswerten Ertragssteigerungen mehr erkennbar.
- Neue Anforderungen bei Düngung und Pflanzenschutz begrenzen weiter die Ertragspotentiale. Viele Anforderungen des Klima- und Biodiversitätsschutzes sind gleichwohl noch nicht erfüllt. Der Druck wird eher zu- als abnehmen.
- Der demografische Wandel verknappt und verteuert Arbeitskräfte. Big Data und Künstliche Intelligenz werden dafür sorgen, dass Maschinen künftig nicht nur autonom Felder bewirtschaften, sondern auch entscheiden, wo und wie gesät, gedüngt oder gespritzt wird.
Diese und weitere Treiber werden nicht nur landwirtschaftliche Unternehmen und Wertschöpfungsketten, sondern auch die Agrarpolitik vor erhebliche Herausforderungen stellen. Das gilt umso mehr, weil die im Februar 2022 von Bundeskanzler Olaf Scholz ausgerufene Zeitenwende auch an der Agrarpolitik nicht spurlos vorübergeht. So hat Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir entgegen breiter Kritik von Umwelt- und von Agrarverbänden im Laufe dieses Jahres wiederholt das EU-Mercosur-Abkommen verteidigt und den internationalen Handel für die Ernährungssicherung als unverzichtbar bezeichnet. Dies dürfte nicht zuletzt geopolitischen Zwängen geschuldet sein: Man möchte verhindern, dass sich die Staaten Südamerikas noch stärker auf den Handel mit China ausrichten, das längst den Großteil ihrer Sojabohnen kauft.
Aber von der Zeitenwende gehen auch innenpolitische Zwänge aus. Die Mitglieder der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) oder der Borchert-Kommission rechneten damit, dass die dort vereinbarten Ideen durch staatliche Förderungen und/oder Mehrausgaben der Konsumenten unterstützt werden. Doch bereits jetzt ist absehbar, dass der Bundeslandwirtschaftsminister statt Haushaltsaufstockungen vielmehr Kürzungen zu erwarten hat. Zu groß sind die Bedarfe, die Etats anderer Ministerien (Verteidigung!) für Infrastrukturen sowie auch zur sozialen Abfederung von Klimaschutzmaß nahmen auszudehnen.
Spielräume, den Haushalt über eine weitere Verschuldung auszudehnen, dürften begrenzt sein, liegt doch die Staatsverschuldung Deutschlands mittlerweile bei mehr als 2,5 Billionen €. Infolge der mittlerweile deutlich gestiegenen Zinsen wird diese Verschuldung zunehmend selber zu einem erheblichen Kostenfaktor der öffentlichen Haushalte. Steuererhöhungen dürften auf absehbare Zeit ebenfalls kaum für Entspannung sorgen, da große Widerstände zu erwarten wären. Und noch etwas haben der russische Überfall auf die Ukraine und die damit einhergehenden Preissteigerungen für Nahrungsmittel und Energie gezeigt: Viele Haushalte haben gerade auch bei Lebensmittelausgaben gespart bzw. waren dazu gezwungen. Das weckt auch Zweifel an der Annahme von Zukunfts- und Borchert-Kommission, dass Verbraucher zwar tendenziell günstige Nahrungsmittel kaufen, aber eigentlich bereit wären, mehr für nachhaltig erzeugte Nahrungsmittel auszugeben.
Was lässt sich also tun? Geht man davon aus, dass die Landwirtschaft weder großzügige staatliche Hilfen noch einen entsprechenden Außenschutz oder höhere Konsumausgaben der Verbraucher erwarten kann, bleiben zwei Optionen. Erstens: Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen zurückzufahren bzw. zumindest nicht weiter auszudehnen. Damit ist angesichts der wissenschaftlich gut dokumentierten Umwelt-, Klima- und auch Tierschutzprobleme jedoch kaum zu rechnen. Zweitens: Die Landwirtschaft findet selbst Wege, eine kostengünstige Produktion mit höheren Umweltstandards in Einklang zu bringen. Dies bedeutet: Wir brauchen eine gewaltige Effizienzsteigerung.
Aber was bedeutet Effizienz? Sie ist das bestmögliche Ergebnis bzw. der bestmögliche Ertrag bei geringstmöglichem Aufwand. Bereits hier lauert zwischen Ergebnis und Aufwand ein Zielkonflikt. Daneben gibt es weitere: auf der Ertragsseite zwischen Menge und Qualität oder verschiedenen Erzeugnissen, auf der Aufwandsseite zwischen alternativen Aufwendungen – wie etwa zwischen Arbeits- und Kapitaleinsatz, wo die günstigsten Einsatzverhältnisse zu finden sind. All diese Zielkonflikte setzen Abwägungen voraus, um die hinsichtlich der Zielsetzung bestmöglichen Verhältnisse zu bestimmen.
Ineffizienzen werden durch gebremsten Strukturwandel geradezu kultiviert.
Prof. Dr. Alfons Balmann, Direktor des IAMO, Halle
Dieser Abwägungsprozess ist jedoch nicht nur auf der Ebene von Personen oder Unternehmen vorzunehmen, sondern auch auf gesellschaftlicher Ebene. Auch für die Gesellschaft gilt, dass die bestmöglichen, also optimalen Verhältnisse des Einsatzes von Produktionsfaktoren und Produkten zu identifizieren sind. Dieses auf gesellschaftlicher Ebene optimale Verhältnis lässt sich als »allokative Effizienz« bezeichnen. Diese ergibt sich (unter Annahme vollkommener Märkte und damit einhergehend vollkommenen Wettbewerbs), wenn alle Wirtschaftsakteure, also Verbraucher und Unternehmen ihre Entscheidungen an den bestehenden Preisverhältnissen ausrichten.
Vor besondere Herausforderungen sind die Akteure dann gestellt, wenn die Preisverhältnisse turbulent sind. Dann lassen sich nur unsichere Erwartungen bilden. Oder wenn die Preisverhältnisse verzerrt sind, weil es für manche Güter und Aufwendungen keine oder unvollkommene Märkte gibt. Das trifft für saubere Luft, sauberes Grundwasser, Biodiversität, schöne Landschaften oder Treibhausgasemissionen zu. Wenn entsprechende Märkte fehlen, dann sind nicht nur Korrekturmechanismen in Form von Regeln und Gesetzen oder Subventionen und Strafen erforderlich, sondern auch gesellschaftliche Abwägungsprozesse darüber. Darum geht es letztlich häufig bei politischen Diskursen innerhalb von Parlamenten oder zwischen Agrar- und Umweltverbänden.
Zeitenwende ist mehr. Läuft die »Zeitenwende« im Wesentlichen auf eine Neujustierung infolge von Preisverschiebungen oder veränderter Relevanz verschiedener Argumente im politischen Diskurs hinaus? Leider nein. Ein Kernproblem besteht nämlich darin, dass die Frage der allokativen Effizienz bzw. Ineffizienz von weiteren Formen von Ineffizienz überlagert wird. Allen voran die sogenannte technische Ineffizienz, die etwa aus Fehlern in der Produktion resultiert. Neben technischer Ineffizienz gibt es technologische Ineffizienz, die im Grunde ähnlich wirkt. Hier werden veraltete Technologien genutzt. Eine weitere, damit verbundene Form ist die Skalenineffizienz. Sie resultiert daraus, dass bestimmte Technologien nur dann optimal nutzbar sind, wenn Unternehmen eine dazu passende Größe besitzen.
Das Kernproblem »Strukturwandel«. Hinsichtlich technischer, technologischer und Skalenineffizienzen stellt sich die Frage, ob und wie diese bzw. deren Ursachen abgestellt werden können. In vollkommenen Märkten werden Ineffizienzen vor allem durch Wettbewerb überwunden: Technisch ineffiziente Unternehmen werden mittel- bis längerfristig von effizienteren Unternehmen verdrängt. Technologische Fortschritte werden dann eingeführt und ersetzen alte, wenn sie kostengünstiger werden. Diejenigen, die sie nicht einsetzen, werden längerfristig verdrängt.
Aus einem solchen Wettbewerbsprozess und dem daraus resultierendem Strukturwandel entstehen Interessenkonflikte, die in einen gesellschaftlichen Widerstreit münden können. In unserer Gesellschaft und damit einhergehend der Politik werden mit dem Strukturwandel verbundene Interessenkonflikte sehr unterschiedlich gehandhabt. In manchen Sektoren wie dem Handwerk wird der Strukturwandel weitgehend ignoriert. Man nimmt hin, dass bei Bäckereien und Fleischereien mittlerweile große Ketten dominieren. Diese Akzeptanz resultiert wohl vor allem daraus, dass die Gesellschaft von effizient wirtschaftenden Unternehmen profitiert, denn diese können ähnliche oder bessere Produkte günstiger anbieten. In der Industrie wiederum erfolgen teilweise erhebliche Bemühungen, durch Subventionen Unternehmen oder Standorte zu retten, wenn viele Arbeitsplätze daran hängen.
In der Landwirtschaft erleben wir einen widersprüchlichen Umgang mit dem Strukturwandel. Teilweise wird er hingenommen, und weniger rentable Betriebe steigen aus der Produktion aus. Zugleich besteht jedoch auch die Tendenz, den Strukturwandel politisch zu bremsen. So wurde bereits in den Römischen Verträgen der früheren EWG verankert, dass zum Schutz landwirtschaftlicher Betriebe, die durch strukturelle oder naturgegebene Bedingungen benachteiligt sind, Beihilfen gewährt werden können. Darin steht aber auch, dass die Einkommen der in der Landwirtschaft tätigen Personen insbesondere durch Produktivitätssteigerungen (Förderung des technischen Fortschritts, Rationalisierung und bestmöglichen Einsatz der Produktionsfaktoren) steigen sollen. Hierin liegt ein Widerspruch, denn Beihilfen schränken letztlich den Wettbewerbsprozess ein. Kurz: Aus einem gebremsten Strukturwandel entstehen allokative, technische und ebenso technologische Ineffizienzen.
Statt diesen Widerspruch zu thematisieren und aufzulösen, wird er kultiviert. Besonders deutlich wird dies im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik bei den über die erste Säule gewährten Umverteilungsprämien. Diese müssen in den Mitgliedsstaaten mindestens 10 % der letztlich als Einkommensbeihilfe verstandenen Direktzahlungen umfassen. Diese Umverteilungsprämien zielen ausdrücklich auf eine Begünstigung kleinerer Betriebe und befördern damit eine Skalenineffizienz. Da Konkurrenz insbesondere um landwirtschaftliche Flächen überwiegend lokal stattfindet und Kleinbetriebe ganz überwiegend in Regionen vorkommen, in denen andere Betriebe ebenfalls vergleichsweise klein und skalenineffizient sind, bedingt diese Art der Förderung nicht nur eine Kultivierung betrieblicher, sondern auch regionaler Skalenineffizienz. Da dort der Wettbewerbsprozess gebremst wird, entsteht eine Abhängigkeit von derartigen Zusatzzahlungen. Denn man will plötzliche Strukturbrüche verhindern, die im Grunde unausweichlich wären, da der Abstand zwischen dem Ist- und dem Soll-Zustand immer größer wird.
Wie konnte es dazu kommen? Im Grunde bedeuten diese Ineffizienzen, dass der Streit zwischen Umwelt- und Agrarverbänden um eine optimale Abwägung zwischen Produktionsinteressen und Um-welt-, Klima- oder Tierschutz überlagert wird von einer Situation, in der technische, technologische und Skalenineffizienzen als gegeben angesehen werden – obgleich dies langfristig gesehen weder im Sinne der Landwirtschaft noch des Um-welt-, Klima- und Tierschutzes ist. Seitens der Landwirtschaft möchte man offenbar innere Konflikte klein halten – zumal ein Großteil der Betriebe in Europa unter Ineffizienzen leidet und einem echten Wettbewerb kaum standhalten würde. Die Umweltverbände wiederum haben im Laufe der Jahrzehnte einige »Erzählungen« (Narrative) entwickelt und gepflegt, mit denen sie nicht nur die Öffentlichkeit zu überzeugen verstanden, sondern auch innerhalb der Landwirtschaft Verbündete suchten und fanden. Diese bestehen ganz einfach darin, Verantwortlichkeiten abzuschieben: Nicht die landwirtschaftlichen Betriebe seien für Umweltprobleme verantwortlich, sondern die »Agrarindustrie«, die landwirtschaftliche Betriebe dazu verführe oder gar zwinge, Pestizide, Düngemittel und Gentechnik einzusetzen. Weiterhin wird erfolgreich erzählt, dass daneben auch die Größe landwirtschaftlicher Betriebe per se schlecht für Umwelt und Gesellschaft sei.
Mit solchen Narrativen wurde und wird Ineffizienz legitimiert. Würden Landwirtschaft und Umweltverbände sie jetzt infrage stellen, dürften trotz »Zeitenwende« Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit aufkommen.
Zurück zur Zeitenwende. Kann es in Politik, Landwirtschaft und Umweltverbänden ein grundlegendes Umdenken geben? Sicherlich kaum von heute auf morgen. Dafür sind einerseits die bestehenden Ineffizienzen und finanziellen Zwänge zu groß. Andererseits ist der Veränderungsdruck enorm und steigt weiter an. Dieser wird kaum mit kleineren Anpassungen auf Ebene der Unternehmen, Wertschöpfungsketten und Politik zu bewältigen sein. Vielmehr ist von einem langwierigen Transformationsprozess auszugehen. Allerdings sollte dieser Transformationsprozess nicht mit dem verwechselt werden, was in der Vergangenheit als »Agrarwende« verstanden wurde. Statt einer Wende ist vielmehr ein enormer Aufholprozess zu erwarten. Jedoch bedeutet dieser Aufholprozess nicht, dass die Lösung in einem schlichten »Schneller-höher-weiter« liegt, bei dem es primär um Technologisierung und Wachstum geht. Vielmehr geht es darum,Veränderung zu managen und kreativ entsprechend der eigenen Möglichkeiten und Rahmenbedingungen zu gestalten. Diese Herausforderung besteht auf Ebene der Unternehmen ebenso wie auf Ebene der Verbände in Landwirtschaft und Umwelt.
Fazit. Die Landwirtschaft ist nicht nur durch die eine »Zeitenwende« gefordert, sondern durch mehrere, die sich z. T. seit Jahren abzeichnen. Dazu gehören als globale Treiber neue Technologien, Globalisierung, Klimawandel und veränderte Konsumgewohnheiten. Auf der regionalen Ebene fordern der demografische Wandel (das heißt der Wettbewerb um Arbeitskräfte auch innerhalb des Sektors) und die geringe Rentabilität vieler Betriebe die Branche heraus. Diese »Zeitenwenden« müssen gemeinsam gedacht werden. Das Ergebnis kann nur lauten, besser als bisher Effizienzpotentiale zu nutzen. Dafür müssen Synergien von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft realisiert werden. Populäre Schlagworte wie »Agrarwende«, »Klein ist fein«, »Natürlichkeit«, »Regional« mögen für Nischen gut sein. Sie sind aber keine Antworten auf die Herausforderungen der »Zeitenwenden«.
Prof. Dr. Alfons Balmann, IAMO, Halle