
IMPULS
Interviewreihe zu vielfältigen Themen vor allem neben dem Platz.

„Ich liebe handgemachte Musik“
Im Alter von sechs Jahren startete Yann Sommer an der Bongotrommel, heute spielt er auch Gitarre und gelegentlich Klavier. Der Torwart von Borussia Mönchengladbach über seine Leidenschaft, ein selbst komponiertes Geburtstagslied, Bruce Springsteen und Berührungspunkte seiner Passion zum Profifußball.
Interview Andreas Kötter
Fotos exklusiv für das DFL MAGAZIN Ramon Haindl
Herr Sommer, im Klassiker „Music“ von John Miles heißt es: „Music was my first love“. Was war Ihre erste große Liebe: die Musik oder der Fußball?
YANN SOMMER: Bei mir kam der Fußball zuerst, damals war ich vier oder fünf Jahre alt. Aber auch die Musik hat nicht lange auf sich warten lassen: Als ich sechs wurde, hat mich meine Mama in Zürich für einen Bongokurs angemeldet, und ich habe dann etwa ein Jahr lang mit großer Freude Bongo gespielt. Das war sehr cool, auch weil ich einen tollen Lehrer hatte. Und nur weil wir später umgezogen sind, musste ich damit aufhören. Bis zu meinem 18. Lebensjahr war mein einziger Kontakt zu Instrumenten dann die Blockflöte im Musikunterricht. (lacht) Als ich später aber meine erste eigene Wohnung bezogen habe, hat mich die Musik wieder gepackt, und ich habe Gitarre spielen gelernt.
Welche Musik berührt Sie heute besonders?
SOMMER: Ich mag die Musik von Bruce Springsteen sehr und finde ihn auch als Typ klasse, er ist eine wirklich coole Persönlichkeit. Ich habe viel über seinen Werdegang gelesen und bin beeindruckt von seinen Songs, die oft vom einfachen Mann von der Straße erzählen, wie in „My Hometown“. Allerdings achte ich nicht immer auf seine Texte. Oft genieße ich einfach nur die Musik. Springsteen hat tolle Melodien, die ich immer wieder hören mag. Zudem ist die Gitarre auch „mein“ Instrument, und „der Boss“ ist nun mal ein hervorragender Gitarrist.

Vita

YANN SOMMER Geboren am 17. Dezember 1988 in Morges (Schweiz). Verheiratet, zwei Töchter.
Sportliche Stationen
1996–1997 FC HERRLIBERG (CH)
1997–2003 CONCORDIA BASEL
2003–2007 FC BASEL
2007–12/2008 FC VADUZ (LEIHE)
1/2009–2009 FC BASEL
2009–2010 GRASSHOPPER CLUB ZÜRICH (LEIHE)
2010–2014 FC BASEL
SEIT 2014 BORUSSIA MÖNCHENGLADBACH
72 A-Länderspiele für die Schweiz; Schweizer Meister 2011, 2012, 2013, 2014; Schweizer Cupsieger 2007, 2012; Schweizer „Fußballer des Jahres“ 2016, 2018, 2021; 251 Bundesliga-Spiele
Stand: 18. Februar 2022
Wer ist sonst auf einer Ihrer typischen Playlists vertreten?
SOMMER: Meine Playlists gehen querbeet durch viele Genres, wobei Springsteen meist dabei ist und anderer handgemachter Rock, Country und Blues dominieren. Eric Clapton, Muddy Waters oder den US-amerikanischen Singer-Songwriter John Mayer schätze ich sehr. Genauso tauchen aber auch Songs von Maroon 5, Philipp Poisel oder Christopher auf, der in seiner Heimat Dänemark enorm erfolgreich ist und mittlerweile auch international immer bekannter wird.
Gerade Ihre jüngeren Teamkollegen hören gern zeitgenössischen R&B sowie Rap. Trifft das auch Ihren Geschmack?
SOMMER: Einige Sachen gefallen mir durchaus. Ich hatte eine Zeit, so vor etwa 15 Jahren, da habe ich zum Beispiel häufig Justin Timberlake und Pharrell Williams gehört. Aber auch den US-Rapper Nas und den deutschen Rapper Kool Savas. Alles Sachen, die ich auch heute noch gern höre.
Wer gibt in der Mannschaftskabine musikalisch den Ton vor, die „jungen Wilden“ oder doch die älteren Spieler?
SOMMER: Wir stimmen ab, was gespielt werden soll. Um aber ehrlich zu sein: Mein Musikgeschmack findet in der Kabine nicht so den ganz großen Anklang. Manchmal gelingt es mir zwar, zwei oder auch mal drei Songs durchzusetzen. Dann reicht es den anderen aber schon wieder mit meiner Musik. (lacht)
Sie singen, spielen Gitarre, gelegentlich Klavier und komponieren sogar – das ist ein Gesamtpaket, das den Künstler vom reinen Interpreten unterscheidet.
SOMMER: Ich bin ganz weit entfernt davon, mich einen Künstler zu nennen. Aber Musik zu machen, das ist für mich etwas ganz Wunderbares. Einige meiner Freunde machen professionell Musik, und mit einem dieser Kumpel habe ich meiner Frau zu ihrem 30. Geburtstag ein Lied komponiert. Melodien und Gitarrenriffs zu finden, aber auch die passenden Texte zu schreiben: Das zu lernen bereitet mir eine Riesenfreude. Aber von Kunst würde ich da nicht sprechen.
Viele große Meisterstücke, ob in der Musik, der Literatur oder der Malerei, hatten ihren Ursprung in einer Lebenskrise des Künstlers. Glück und große Kunst – schließt sich das weitgehend aus?
SOMMER: Das würde ich so nicht sagen. Warum sollte man nicht auch eine glückliche Geschichte als Ausgangspunkt für einen Song nehmen können? Zudem muss wohl selbst der Glücklichste im Laufe seines Lebens irgendwann auch eine negative Phase durchlaufen, ob das nun eine Beziehungskrise ist oder eine Krankheit. Um diese Krise dann zu verarbeiten, kann es allerdings in der Tat hilfreich sein, sich das Erlebte von der Seele zu schreiben, ob nun als Song oder als Text.
Um in Ihrem Sport erfolgreich sein zu können, sind auch Selbstbewusstsein und Stärke nötig. Kann sich ein Profifußballer eine Lebenskrise überhaupt leisten?
SOMMER: Ein spannendes Thema. Auch Fußballprofis werden ja nicht immer verschont von Krisen. Der Ehrlichkeit halber muss man aber sagen, dass es eine Kunst ist, damit auch umgehen zu können. Nimmt man das Negative mit auf den Rasen, wird es sehr schwierig. Man muss beizeiten lernen, den Schalter umlegen zu können.
Mit professioneller Hilfe?
SOMMER: Warum nicht? Man sollte gar nicht erst in eine Krise geraten, um entsprechende Unterstützung anzunehmen. Der Erfolgsdruck im Profifußball ist nicht ohne, da sind die Erwartungen der Fans und des Vereins, da sind die Medien. Deshalb arbeite ich schon lange regelmäßig mit einem Psychologen zusammen, um all das, was auf mich einstürmt, auf eine gesunde Weise verarbeiten zu können.

Hilft Ihnen dabei auch Musik?
SOMMER: Ich höre im Auto häufig Musik. Wenn ich zum Beispiel morgens zum Training fahre, tut mir diese halbe Stunde Musikgenuss wirklich gut und hilft mir, alles andere auszublenden, sodass ich mich danach ganz auf den Fußball konzentrieren kann. Dann ist der Kopf ganz frei. Und dieselbe Wirkung hat auf mich, wenn ich selbst ein bisschen musiziere.
Wie oft finden Sie als Familienvater dafür noch Zeit?
SOMMER: Mittlerweile wieder regelmäßiger. Wir haben zwei kleine Kinder zu Hause, da sind die Prioritäten natürlich anders als bei einem Paar ohne Kinder oder einem Single. Weil die Gitarre bei uns aber ohnehin immer im Wohnzimmer liegt, habe ich kürzlich wieder angefangen und spiele den Kindern jetzt manchmal etwas vor. Unsere ältere Tochter, sie ist inzwischen zwei Jahre alt, zeigt mittlerweile sogar schon auf die Gitarre und sagt dann: „Papa spielen!“ Also spiele ich. Wenn ich sie dann nach zwei Minuten frage, ob es ihr gefällt, schüttelt sie den Kopf. (lacht) Letztlich ist das momentan nicht viel mehr als belangloses Herumklimpern, aber es macht mir dennoch große Freude. Und trotz Kopfschütteln glaube ich, dass auch die Kinder es cool finden.
Lassen Sie uns darüber reden, wie die Digitalisierung und alles, was dazu gehört, auch die Musik verändert hat. Berühmt zu werden scheint heute per se erstrebenswert. Verkommt Musik da zum bloßen Vehikel?
SOMMER: Auf jeden Fall ist es heute durch die Digitalisierung bis zu einem gewissen Punkt einfacher geworden, auf sich aufmerksam zu machen. Auch die Musik selbst ist einfacher herzustellen. Genau das aber gefällt mir nicht an vielem, was heute produziert wird. Ich habe grundsätzlich nichts gegen elektronische Musik. Und auch heute gibt es natürlich viele Topkünstler, die wirklich coole Musik machen. Aber ich vermisse oft die Echtheit und – im positiven Sinn – den Dreck, das Ehrliche, die Persönlichkeit. Früher war einfach mehr Dreck. (lacht)

Nichts hat einen so authentischen, einen so warmen Klang wie die klassische Schallplatte.“
Könnten Sie sich nach Ihrer aktiven Zeit als Torwart eine zweite Karriere im Fußball vorstellen ‑ oder wechseln Sie vielleicht in die Musik?
SOMMER: Die Erfahrungen, die ich als Profi bislang sammeln konnte, sind sicher sehr wertvoll für mich. Ob das nach meiner aktiven Karriere aber ausreichen würde, um in anderer Funktion im Fußball zu bleiben, das vermag ich heute noch nicht zu beantworten. Grundsätzlich bin ich ein Typ, der schon immer offen für Neues ist. Und ein selbst gestecktes Ziel von mir für die Zukunft ist es, noch einmal etwas ganz anderes kennenzulernen, jenseits von Fußball und Musik.
Zum Schluss noch eine Glaubensfrage: Wir haben uns hier in der „Vinyl Garage“ in Mönchengladbach getroffen, einem Plattenladen, der nur Vinyl, aber keine CDs verkauft. Wie halten Sie es? Klassische Schallplatte oder doch CD und Streaming?
SOMMER: Abgesehen davon, dass man im Auto Musik zwangsläufig via CD oder Streaming hört, lautet meine Antwort: Auf jeden Fall Vinyl! Da bin ich durch meinen Vater sozialisiert worden. Für ihn zählt nur Vinyl, und er hegt und pflegt seine riesige Plattensammlung bis heute. Eines seiner Hobbys ist die Malerei, und ich erinnere mich sehr gut daran, dass er seine Platten gerade auch beim Malen oft gehört hat. Wie ich anfangs erzählt habe, bin ich mit 18 Jahren zu Hause ausgezogen. Mein Vater hat mir dann einen Plattenspieler geschenkt, der bei mir sehr häufig in Betrieb war, auch weil ich mir bei den Besuchen bei meinen Eltern immer wieder Platten ausgeliehen habe. Im Moment ist der Plattenspieler zwar nicht angeschlossen, aber das wird sich ändern. Für jemanden, der, wie ich, handgemachte Musik liebt, gibt es gar keine Alternative. Nichts hat einen so authentischen, einen so warmen Klang wie die klassische Schallplatte.
Herr Sommer, vielen Dank für dieses Gespräch.
DER AUTOR Andreas Kötter ist freier Journalist und schreibt unter anderem für die Deutsche Presse-Agentur (dpa) und das „RedaktionsNetzwerk Deutschland“.