

Die Stachelige
Als alleinige Sekretärin in einem Anwaltsbüro war eine meiner Pflichten das Blumengiessen.
Ich mag Pflanzen sehr, kenne mich aber nicht besonders gut damit aus. Deshalb ertränke ich sie meistens. Stiefkind in unserer Anwaltskanzlei war eine stachelige, eher unscheinbare Pflanze, an der ich mich nicht besonders erfreute, weil sie mich regelmässig, wenn ich mit Dokumenten im Arm an ihr vorübereilte, pikste.
Eines Tages, als mir ihre stachelige Natur zu sehr zuwider wurde, nahm ich sie nicht gerade liebevoll und schob sie mit einer gewissen Genugtuung in die hinterste Ecke des Büros. Hier verstaubte sie langsam. Die meiste Zeit ignorierte ich sie, während ich dem anderen schmucken Grün oftmals dankbar meine PC-müden Augen zuwendete.
Allerdings bewog mich mein Pflichtgefühl dazu, der Stacheligen wenigstens ab und zu ein bisschen Wasser zu geben – wenn auch nur halbherzig.
So verging wohl mehr als ein Jahr, bis ich eines Morgens meinen Augen nicht traute: Die Pflanze hatte in…