

EDITORIAL
Liebe Leserin, lieber Leser
Im Jahr 1858 bricht das schottische Ehepaar John und Mary Ann Paton auf in Richtung Südsee. Ziel sind die Inseln der Neuen Hebriden. Die Überfahrt dauert viereinhalb Monate. Auf der Insel Tanna lassen sie sich nieder. Mentalität, Religion und Lebensführung der kriegerischen Inselbewohner, die eindeutig auch Menschenfleisch essen, wollen den Patons gleich am Anfang jeglichen Mut rauben. Die Insulaner-Frauen werden erniedrigt, verrichten selbst schwerste Arbeiten. Der Angst vor Geistern begegnen die Eingeborenen mit Beschwörungsritualen, Götzenanbetung und Magie. Dazu kommen die Machenschaften weisser Händler. Es gibt solche, die Stammeskriege anzetteln, nur um Waffen verkaufen zu können. Die Patons erleben die Schattenseite des Südseeparadieses. Aber in ihren Herzen wächst der unbändige Wunsch, diesen Menschen die Liebe Gottes zu zeigen. Sie beginnen ihre Sprache zu lernen und aufzuschreiben, bringen ihnen das Lesen bei. Sie leben vor, dass die Männer die schweren Lasten tragen, dass man sich gegenseitig hilft. Nach der Geburt ihres ersten Kindes stirbt Mary Ann. Einen Monat später ist auch das Kind tot. John selbst gerät immer wieder in Lebensgefahr. Schliesslich muss er auf dramatische Weise fliehen. Innerlich habe er aber auch in Momenten grösster Bedrohung gewusst, dass er erst dann sterben werde, wenn Gott seinen Dienst für beendet hielt, schreibt er ins Tagebuch. 1862 reist John nach Australien, um dort das Interesse für die Menschen auf den Neuen Hebriden zu wecken. 1866 kehrt er zurück und 20 Jahre später zählt man auf den Inseln mehr als 12 000 Christen! Sie beten den einen Gott an, der sie liebt und ihr Denken und Handeln von Grund auf neu gestaltet. John Paton lebte das Evangelium in einer Welt, die Jesus ablehnte. Aber er setzte dem Hass etwas entgegen: unerschütterliches Vertrauen in Gott und Liebe zu den Menschen.
«Ich bin allen alles geworden, damit ich auf alle Weise etliche rette.»
1. Korinther 9,22
Warum erzähle ich Ihnen das? Wegen den Diskussionen um entführte Christen – im Jemen, in Mali, in Niger und anderen islamischen Staaten. «Die sind selber schuld!», höre ich immer wieder. «Die müssen ja nicht dorthin und schon gar nicht, um zu missionieren!» Die Urteile kommen rasch und gnadenlos. Stimmt – niemand muss in unsichere Regionen. Wer trotzdem geht, der weiss warum – und der erwartet kein Mitleid. Dem geht es nicht um sich, sondern um die Menschen, die dort leben. Ihnen dienen sie medizinisch, pädagogisch, technisch. Es ist ein Dienst an Menschen, die noch nie erlebt haben, dass jemand ohne Eigennutz hilft, und die noch nie gehört haben, wie sehr Gott sie liebt. Dass jemand für einen solchen Dienst Bequemlichkeit, Sicherheit und Einkommen aufgibt, das verstehen träge Stubenhocker, besserwisserische Theologen und glaubenskritische Journalisten nicht. Auch viele Schotten schüttelten damals den Kopf, als John Paton zu den Kannibalen reiste. Nein, es muss nicht jeder gehen. Aber woher nehmen wir das Recht, denjenigen, die das Herz und den Mut dazu haben, den Vogel zu zeigen? Unsere Gebete und Gaben sollten ihnen Flügel verleihen!
Herzliche Grüsse, Ihr Rolf Höneisen