
Lob macht nicht dick

Hat das deine Oma genäht?», wurde ich des Öfteren gefragt, wenn ich als Kind etwas Neues trug. Meine Oma kreierte für meine Schwester und mich tolle Kleidungsstücke und Accessoires. Dafür erstanden wir in Kaufhäusern kostengünstig schöne Stoffe und entwickelten zusammen mit Oma fantasievolle Modelle, was uns sehr viel Spass machte.
Die Ergebnisse unserer nähbegeisterten Oma konnten sich sehen lassen! Wir ernteten beim Tragen der neuen Kleider jeweils Lob und Aufmerksamkeit. Besonders gelungene Meisterwerke trugen wir mit stolzer Freude. In einer kinderreichen Familie aufgewachsen, bedeutete ein neues Kleidungsstück viel, entsprechend schätzten wir es.
Loben und Sichmitfreuen erlebe ich heute viel seltener. Oder täusche ich mich? Vielleicht sind wir zu sehr mit uns selbst beschäftigt und bemerken das Schöne und Lobenswerte bei den anderen gar nicht?
Jeder Mensch braucht Lob, wie eine Pflanze Dünger zum Gedeihen benötigt. Mit Lob geht alles leichter. Gerade im Alltagsleben verleiht uns ein echtes, ernst gemeintes Lob Flügel.
Mark Twain sagte einmal, dass er von einem Lob zwei Monate lang leben könne. Ein wahres Wort. Lob ist Wellness für die Seele, ausserdem kostet es nichts und macht nicht dick, obwohl es dieselben Auswirkungen hat wie ein «Gute-Laune-Essen»: Es beschwingt und erheitert unser Gemüt.
Auch in der Arbeitswelt wird oftmals an Lob gespart. Immer mehr Leistung und Hektik sind die Regel, für Lob und Anerkennung fehlt einfach die Zeit. Das ist kurzsichtig gedacht, denn Lob fördert die Kreativität und Produktivität. Wenn Mitmenschlichkeit auf der Strecke bleibt, wirkt sich das negativ aus auf die Arbeit und das Betriebsklima.
Immer wieder erzählen mir Menschen, die einen geliebten Partner oder Freund verloren haben, es tue ihnen leid, den Betreffenden nicht genügend gelobt oder ihm die richtige Wertschätzung entgegengebracht zu haben. So könnte man in dem Spruch: «Schenkt Blumen zur Zeit des Lebens, denn auf den Gräbern sind sie vergebens» anstelle des Wortes «Blumen» ebenso das Wort «Lob» einsetzen.
Kinder brauchen viel Lob. Mit Kritik sollte man vorsichtig und einfühlsam umgehen. Lob hingegen darf grosszügig ausgeteilt werden – vorausgesetzt, es ist ehrlich. Zu viel Kritik kann das Selbstwertgefühl schwächen und sogar Lernblockaden hervorrufen, während das Lob eine gesunde Entwicklung fördert.
Denken Sie daran, wie Sie sich fühlen, wenn Sie gelobt werden! Teilen Sie deshalb so oft wie möglich Lob aus, das wie ein Sonnenstrahl im Herzen Frühlingsgefühle freisetzt und auch Ihnen selber Freude schenkt.
Marianne Höly
«Lass dich von einem andern loben und nicht von deinem Mund, von einem Fremden und nicht von deinen eignen Lippen.»
Sprüche 27,2