

Kolumne: Hier riecht’s nach Sprit
Boxer-Motoren Koenig 100 und 170


Thomas Schmidt gehört bekanntlich zum Organisationsteam der ProWing-Messe in Bad Sassendorf. Als ich mich im vergangenen Jahr bei ihm im Messebüro meldete, sagte er so nebenbei: „Schau dir mal in der Aktionsfläche den neuen Boxer von Stefan Thiel an, an dem habe ich auch mitgewirkt.“ Es war ein 100-cm 3 -Boxermotor mit Drehschiebersteuerung, einem mächtigen Ansaugfilter, einer Aeroflug-Zündung und zwei abgestimmten Metternich-Schalldämpfern.
Da der Motor in allen Drehzahlbereichen erstaunlich ruhig lief – ganz anders als bei fast allen anderen Boxern – hatte ich eigentlich vor, mich um einen Testmotor zu bemühen. Dann hörte ich den Preis: 1.425,- €. Denkpause! Wer würde heute für einen 2-Takt-Boxer mit 100 cm³ Hubraum mehr als 1.400,- € zahlen wollen, wenn er doch einen 111er DLE oder den wirklich gelungenen 120er RCGF für die Hälfte bekommen kann. Und die chinesischen Hersteller haben wirklich dazu gelernt – zumindest einige. Und wenn man schon so viel Geld für einen Motor ausgeben will, warum dann nicht für einen Motor von einer bekannten Firma wie DA oder 3W? Um das zu verstehen, muss man etwas weiter ausholen. Und da vielleicht die Entstehungsgeschichte des neuen Boxers auch allgemein interessant sein könnte, werde ich auch darauf eingehen.
Zum Glück ist unser Hobby weit gefächert und auch zusätzlich noch unterteilt in den normalen Vereinsbetrieb und die Wettbewerbs-Szene. Der 3D-Kunstflugpilot will von seinem Motor nur Leistung sehen und diese möglichst abrupt abrufen können. Der Vereinsschlepppilot will die Segler seiner Freunde möglichst schnell auf Höhe bringen, manchmal so steil, wie es in der personentragenden Fliegerei überhaupt nicht möglich wäre. Und dann gibt es die Teilnehmer an Segelschlepp-Wettbewerben, die fast nie mit voller Leistung fliegen und bei denen es auf absolute Drehzahlkonstanz ankommt.
Genau das war die Domäne der King-Drehschieber-Boxer der Firma Haas, wenn man einen guten erwischt hatte. Haas ist ja bekanntlich nicht mehr aktiv. Genau in dieses Vakuum zielt der Motor von Stefan Thiel, den Stefan – eigentlich ganz logisch – Koenig 100 nennt. Die Schreibweise mit „oe“ war nötig, um nicht mit dem Namen der Berliner Motorenfirma König zu kollidieren, auch wenn diese leider auch nicht mehr existiert.
Der Heimatverein von Stefan ist der MFC Ingelbach im Westerwald. Dieser Verein ist durch seine Veranstaltungen traditionell stark mit dem Segelschlepp verbunden und hat dadurch auch schon im eigenen Verein genügend Bedarf an geeigneten Motoren. Dazu kommt noch eine nahe Beziehung zu Kempf Modellbau. Und Kempf hat von Axel Frisch den Vertrieb der Bo 209 übernommen. Kempf Junior Kevin hat sich mit seiner sehr langen Motor-Erfahrung dann zusammen mit Stefan Thiel und Thomas Schmidt an die Neukonstruktion eines Boxermotors gewagt. Hinzu kam die jahrelange Erfahrung von Stefan und Thomas, die sie bei der Reparatur von Kundenmotoren sammeln konnten. Dabei sahen sie nicht nur die reparaturbedürftigen Teile, sondern auch so manche konstruktive Sünde des jeweiligen Motorlieferanten. Mit diesem Erfahrungsschatz im Hintergrund hat Kevin dann den 100er und etwas später den 170er Boxer per 3D-CAD konstruiert.
Doch jetzt, nach dieser langen Vorgeschichte, zurück zum Motor selbst: Stefan Thiel bot mir im vergangenen Jahr dann doch einen Motor für einen Test an. Ich habe mich nach längerem Überlegen gegen einen klassischen Prüfstandtest entschieden. Ich kann dabei zwar Drehzahlen und Leistung messen und auch noch eine Standschubmessung machen. Aber genau die Charaktereigenschaften, für die der Koenig 100 konstruiert wurde, kann man nur beim praktischen Fliegen erfahren. Also bin ich in den Westerwald zu Thiel Modelltechnik gefahren, um den Motor dort im Flug zu sehen und zu hören.

Stefan und seine Gattin haben ihr Haus an einer leichten Hanglage gebaut. Oben wird gewohnt und gelebt, aber der komplette untere Bereich strotzt vor Modellbau und Motorentechnik. Als Erstes sah ich auf der Gartenterrasse einen Motorprüfstand mit dem neuen 170er Boxer. Neben Stefan stand Michael Seidel, auch ein Schlepppilot, der den Motor vom Prüfstand mit nach Hause nehmen wollte. Er ist einer von fünf Testkunden, die die Aufgabe haben, alle noch verstecken „Bugs“ herauszufinden, ehe der neue 170er in Serie geht.
In der Werkstatt lagen auf einem Tisch alle Bauteile für die beiden Boxer. Die Gehäuse sind horizontal geteilt und mittels 3D-CNC aus dem vollen Alu gefräst. Da gibt es keine Lunker oder andere Fehlstellen. Selbstverständlich sind die Gehäuse-Pärchen mit Pass-Stiften fixiert. Da kann nichts bei der Montage verrutschen. Auf dem Foto sind zwei bunte Gehäuse zu sehen. Das sind Kunststoffgehäuse aus dem 3D-Drucker, mit denen der Zusammenbau und vor allem die Gasführung zu den beiden Zylindern studiert wurden. Ganz schön clever! Es sind 2RS-Kugellager mit C3-Lagerluft und der doppellippigen H-Dichtung eingebaut. Das ist dann auch dauerhaft dicht, auch ohne einen zusätzlichen Wellendichtring. Die Kurbelwellen sind verpresst, wie heute immer üblich. Sie haben einen beachtlichen Lagerabstand auf der Propellerseite, was sicherlich der Laufruhe gut tut. Die Pleuel sind beidseitig mit einem Nadellager ausgestattet. Die Propellernabe hat einen 10-mm-Zentralstift für die Propelleraufnahme und der wird mit sechs M5-Schrauben befestigt. Der Teilkreis der Propellerschrauben hat beim 170er einen Durchmesser von 34 mm und beim 100er 29 mm, was sehr vernünftig ist, da die meisten Motoren in diesen Klassen auch so ausgelegt sind. Da kann man dann schon mal einen Propeller vom Kollegen testen.

Am hinteren Kurbelwellenende ist ein zweifach gelagerter Zusatzzapfen eingepresst, an dem ein sehr kräftiger Sechskant angefräst ist. Darauf wird der Flachdrehschieber geschoben und angetrieben. Der Flachdrehschieber ist aus einem etwa 3 mm dicken textilverstärktem Kunststoff hergestellt. Das ist sehr clever gemacht, da durch die Wandstärke des Drehschiebers jede Flatterneigung unterbunden wird und die Textilverstärkung keine abrasive Wirkung auf die Dichtfläche haben kann. Das alles verspricht ein langes Motorenleben. Die Zylinder und Kolben liefert die Firma Mahle dazu. Auch das ist zweifellos ein Garant für ein langes Motorleben. Die Kolben sind mit einem Ring versehen. Es werden die kleinen NGK CM6-Kerzen eingesetzt, für die ein tief im Zylinder eingepasstes Adapterstück dafür sorgt, dass die Kerzen-Flammstrecke auch wirklich im Brennraum liegt. Ich bin eigentlich kein Freund von solchen Adaptereinsätzen, da meist die Flammstrecke an der falschen Stelle liegt. Aber der Motorlauf war zu gut, um meckern zu können.

Da die Mahle-Zylinder eigentlich für Kolbensteuerung ausgelegt sind, muss diese Öffnung verschlossen werden, wenn die Gasteuerung per Drehschieber geschehen soll. Also wird ein Deckel aufgeschraubt. Nicht so beim Koenig-Motor. Statt eines simplen Deckels gibt es hier ein kleines, aber ganz schön komplexes 3D-Frästeil, mit dem nicht nur die Zylinderöffnung verschlossen wird, sondern auch das darunterliegende – jetzt leistungsstörende – Volumen beseitigt wird. Der Vergaser stammt von Walbro und ist erfreulicherweise gleich mit modellbaugerechten Anlenkhebeln versehen.
Ein anderes Detail hat mir aber besonders imponiert, weil daran wieder die praktische Erfahrung erkennbar ist. Der Druckimpuls aus dem Motorgehäuse, der die Membranpumpe im Vergaser antreibt, wird nicht über fragwürdige verwinkelte Bohrungen zum Vergaser geleitet, sondern extern mit handfesten Festo(!)-Armaturen. Zwischen dem Motorgehäuse und dem Vergaser liegt wie üblich ein Kunststoff-Isolierstück, das ja dazu dienen soll, die Motorwärme vom Vergaser fern zu halten. Beim Koenig 100 ist das Teil sehr dick. Bei meinen eigenen Motoren sind diese Zwischenstücke gerademal halb so dick. Aber hier haben wir es mit einem Motor zu tun, bei dem besonders auf die Schleppfliegerei geachtet wurde. Da kann es passieren, dass der vom letzten Schlepp noch heftig erhitzte Motor nach der Landung nur ein paar Minuten abgeschaltet wird, bis der nächste Seglerpilot sich wieder schleppen lassen möchte. Wenn sich in dieser zum völligen Auskühlen zu kurzen Zeit im Vergaser durch die Motorhitze Gasblasen bilden konnten, wird der Motor nur schwerlich zu starten sein. Also macht die dicke Isolierung wirklich Sinn.
Die Zündung des Motors, der 2017 auf der ProWing gezeigt wurde, stammte von Aeroflug, also von Thomas Schmidt. Da Thomas mit seinem Reparatur-Service und der ProWing-Organisation völlig ausgelastet ist, sind die Serienmotoren jetzt mit einer Müllerzündung ausgestattet.
Soweit die Technik. Jetzt wollte ich die Motoren auch laufen sehen und hören. Zuerst wurde der 170er gestartet. Auf dem Prüfstandbock lag der Tank etwa 25-30 cm tiefer als der Vergaser, was es nicht leichter macht, wenn Sprit angesaugt werden muss. Also Choke geschlossen und ein paar Mal den Prop von Hand durchgedreht und man sah, wie die Spritsäule artig zum Vergaser gepumpt wurde. Damit hätte so mancher neue Flatterventil-Motor Probleme. Wenn die Lamellen nicht völlig dicht anliegen, könnte der Sprit nicht so hoch gepumpt werden. Die meisten Flatterventile sind erst richtig dicht, wenn der Motor läuft und sich die Membranen dynamisch getrieben anlegen können. Der Drehschieber am 170er Koenig war also absolut dicht.


Nach der ersten Zündung und danach offenem Choke sprang der Motor ohne böse Manieren an. Es waren zwei Schalldämpfer von MTW verbaut und ein 31×12-CFK-Propeller von Mejzlik mit sehr breitem Blatt. Mit diesem erreicht der 170er 5.500 1/min. Ein Engel-Super-Silence-CFK-Zweiblatt 32×12 wird mit 5.800 1/min gedreht. Eine 29×12 Super-Silence-Dreiblatt erreicht auch 5.500 1/ min und eine 30×12 Super-Silence-Dreiblatt 5.250 1/min. Dass Gewicht des Motors inklusive Zündung beträgt 4.450 g.
Diese nackten Zahlen sagen aber überhaupt nichts über den Charakter des Motors aus. Auf einem lose stehenden Teststand wackelt es bei irgendeiner Drehzahl eigentlich immer. Ich habe mich aber vergeblich bemüht, diesen Punkt zu finden. Der Motor läuft im kompletten Drehzahlbereich erfreulich schwingungsarm. Die Gasannahme war durch den schweren CFK-Prop etwas verzögert, aber immer noch deutlich schneller, als man es im Flugbetrieb überhaupt braucht.
Dann wurde der Motor gewechselt und ein 100er auf den Testbock geschraubt. Beim 100er beträgt das Gewicht inklusive der Zündung 3.020 g. Auch hier war die Startprozedur völlig problemlos. Der Leerlauf war verblüffend. Unter 1.000 1/min und eine stetige Gasannahme aus diesem tiefen Keller heraus, toll! Wir hatten vorher vereinbart, dass ich den 100er im Modell sehen und hören könnte. Also fuhren wir zum Fluggelände des MFC-Ingelbach und trafen dort Axel Rahn, den 1. Vorsitzenden des Vereins und heute Testpilot für den Koenig-Motor. Axel hatte eine Bo 209 mit 2.800 mm Spannweite dabei. Das Modell hat er komplett in Holz gebaut, Gewicht 16,5 kg. Es war eine 26×12-Engel-CFK-Dreiblatt-Luftschraube montiert, die der 100er mit 5.800 1/ min drehte. Eine kurze Standschubmessung zeigt erstaunliche 22,5 kg an. Das war auch im Flug deutlich sichtbar. Ich habe Axel zuerst gebeten, mit der niedrigsten Gasstellung möglichst lange zu kreisen und dabei den Gasknüppel nicht zu verändern. Der Motor lief ohne hörbare Drehzahlschwankungen! Dann habe ich ihn gebeten, das Modell solange wie möglich senkrecht hoch zu ziehen, um zu sehen, ob die erstaunlichen 22,5 kg Schub auch im Flug anliegen. Der Versuch musste an der Sichtgrenze erfolgreich abgebrochen werden.

Es gibt bei einem eingebauten Motor einen ganz einfachen Test, ob der Motor ruhig läuft oder vibriert. Man lässt den Motor langsam die Drehzahl erhöhen und beobachtet die Ruder am Modell. Irgendwann fängt ein Ruder an zu klappern. Axel hat die Drehzahl seines 100ers langsam erhöht und es gab KEINE Klappereien!

Bei jedem Motortest käme jetzt das Fazit. Lieber FMT-Leser, wenn du beim Lesen dieses Berichtes den Eindruck bekommen haben solltest, dass beim Autor eine gewisse Begeisterung zu spüren ist, dann kann ich nur sagen: Ja, ich war voll begeistert! Wer nicht gerade den ganzen Tag 3D-Kunstflug machen will, sondern zum Beispiel einen schönen harmonischen klassischen Kunstflug oder wer ein Scalemodell ausrüsten möchte oder wer eine Schleppmaschine hat, der sollte ruhig etwas länger sparen und sich einen Koenig gönnen. Während der ProWing am letzten Aprilwochenende kann man sich die Motoren in der Aktionsfläche und in der Luft bei der Flugshow praktisch ansehen – ein Besuch lohnt sich.