

LEETHERMIK
Das Unmögliche wagen
Manchmal braucht man den Wink mit dem Zaunpfahl. Ende Februar 2018 fuhr ich mit dem Mountainbike durch die Weinberge bei uns am Ort. Es pfiff ein eiskalter Nordostwind, locker mit 30 bis 40 km/h. Doch die Weinberge sind nach Südwest ausgerichtet und lagen damit im Lee. Trotz Dauerfrost also kein Problem. Die Sonne heizte ordentlich und es war selbst auf dem Rad nicht zu kalt. Da sah ich über mir zwei Bussarde kreisen. Spinnen die, ist doch voll im Lee?

Aber die beiden schraubten sich dennoch langsam hoch. Bei etwa 150 m Überhöhung fingen sie an, die üblichen Jojo-Paarungsflüge zu machen. Das ist um diese Jahreszeit typisch. Da versuchen die Bussarde sich gegenseitig zu beeindrucken. Erst Höhe tanken, dann steile Abwärtsschwünge und mit der Überfahrt wieder hoch bis zum Stillstand. Flügel wieder angelegt und wieder runter. Und das ein paar Mal, garniert mit Steilkurven. Das scheint die Mädels in diesen Kreisen zu beeindrucken. Wir haben das beim Hangfliegen auch schon versucht. Aber Sie erraten es schon – keine Reaktion vom anderen Geschlecht! Scheint also nur bei Bussard-Damen zu funktionieren.
Bald suchten die beiden Bussarde das Weite. Wahrscheinlich war nur ein kurzer Showflug auf die andere Talseite geplant. Das weiß man bei Bussarden ja nie so genau. Jedenfalls war glasklar: Die beiden hatten trotz einer deutlichen Nordostlage mit reichlich Wind im Lee einen Bart gefunden. Vielleicht nicht den Stärksten, aber ausreichend für einen schönen Flug. Und bestimmt nicht der einzige an diesem Tag. Also nichts wie den Akku laden und an den Hang!

Thermik im Lee?
Nun ist Thermik im Lee eines Berges nichts Ungewöhnliches. Solange der vorherrschende Wind nur gut genug von der Stelle abgeschirmt wird, an der wir fliegen, kann dort durchaus Thermik entstehen. Wenn wir also im Wetterbericht hören, dass der vorherrschende Wind grundsätzlich aus der Richtung im Rücken unseres Standortes kommt, heißt das noch lange nicht, dass wir das Fliegen lassen müssen. Ganz im Gegenteil. Gerade im Gebirge sind die Hänge ja selten oben auf dem Gipfel oder an einem Bergkamm, sondern eher an den leewindgeschützten Flanken weiter unten. Und wenn nun alle anderen Faktoren stimmen, kann das trotz falschem Wind ein guter Flugtag werden. Haben wir also schönes Wetter (gute Sonneneinstrahlung), war es nachts deutlich kälter als am Tage und spüren wir keinen Wind im Rücken, sollte der Tag ein fliegerischer Erfolg werden. Je stärker der falsche Wind weht, desto geringer sind aber unsere Chancen. Dass es selbst bei 30 bis 40 km/h Wind aus Nord an meinem Weinberg noch reicht, hätte ich aber nicht erwartet.
Wind im Rücken?
Spüren wir jedoch einen deutlichen Luftzug von hinten, dann haben wir schlechte Karten. Genauer gesagt ganz schlechte Karten. Denn dann kommt der Wind offensichtlich von oben den Berg herab. Und auch wenn unerfahrene Modellflieger wegen der strahlenden Sonne trotzdem starten – das wird nichts. Und da braucht es nicht einmal viel Wind. Rückenwind am Hang ist praktisch immer ein Fallwind. Wirft man jetzt ein Modell hinaus, fliegt es, als ob jemand einen Backstein darauf platziert hätte. Es geht nur abwärts und wenn man dann noch langsam fliegt, weil es halt immer so doof nach unten geht, wird die Fliegerei richtig gefährlich. Finger weg also vom Fliegen bei Rückenwind am Hang, und wenn die Sonne noch so auf den Planeten herunterbrezelt, wie wir Schwaben sagen.
Aber es gibt noch eine kleine Chance bei Rückenwind. Oft schläft der Wind ja abends ein und es ist vormittags noch recht ruhig. Da gelangen schon schöne Flüge bei leichter Thermik, manchmal bis 11 oder 12 Uhr. Leider haben wir gerade bei Nordföhn in den südlichen Alpen oft schon am frühen Morgen Wind von oben. Dann geht natürlich gar nichts.

Obergrenzen
Doch zurück zu unserem Hang, der ja nicht im Gebirge, sondern hier in den Weinbergen um Stuttgart liegt. Obwohl der Wind aus Nord stark war, gelang den Bussarden ein schöner Flug. Sie befanden sich eben auf der anderen Seite des Berges, wo der Wind aus Nord in Hangnähe praktisch nicht zu spüren war. Natürlich entsteht hier keine Superthermik, zumal wir uns ja im Winter befinden, wo die Thermik ohnehin nie so stark wird wie etwa im Frühjahr. Dennoch entsteht sie an der richtigen Stelle oft in ausreichendem Maße zumindest für leichtere Segler. Nur, wie hoch kann so ein Bart überhaupt gehen?

Nun habe ich das Glück, dass der Berg, an dem ich oft im Winter fliege, einen recht breiten und flachen Rücken hat. Der Nordwind schaffte es daher nicht, direkt über den Berg hinweg zu blasen und auf der anderen Seite wieder herunterzukommen (er ist ja kalt, die Luft müsste also sinken). In größerer Höhe muss der Wind aber weiter und über diesen Berg. Anders kann er nicht, wohin auch? Und irgendwann ist er dann doch oben drüber und sinkt wieder nach unten. Aber in diesem kleinen Bereich des geschützten Lee können wir fliegen. Je nach Windstärke, Hangausformung und Temperaturen kann es auf Höhen um 200 m gehen. Man merkt sofort, wenn in der Höhe der Wind einsetzt. Das Steigen hört sofort auf und der Flug wird unruhig. Meist hört das Steigen schon auf, bevor man diese kalte Luftschicht überhaupt erreicht hat. Passieren kann nicht viel, selbst bei stärkerem Wind, denn wir sinken dann eben schnell wieder in die wärmeren und ruhigeren Gefilde unseres kleinen Thermikparadieses im Lee. Nur nicht mit der kalten Luft davontragen lassen! Aber das habe ich noch nie geschafft, will es aber nicht ausschließen, dass es passieren könnte.
Die Bussarde vom Anfangsbeispiel flogen dann gut Höhe haltend weiter bis auf die gegenüberliegende Talseite. Also schien der Wind zumindest hier noch nicht bemerkbar zu sein. Bestimmt aber am gegenüberliegenden Hang. Aber das ist nicht zwingend negativ. Denn auch dort könnte man es noch mal versuchen. Wenn der Gegenhang nicht zu weit entfernt ist. Ohne Motor wäre das aber ein extrem risikoreiches Unterfangen, mit Motor jedoch eine interessante Erfahrung.
Von den Profis lernen
Auf jeden Fall empfehle ich allen thermikbegeisterten Modellfliegern (egal wann und wo immer), unsere Vorbilder, die Raubvögel zu beobachten. Wie oft bin ich nur fliegen gegangen, weil ich zuvor einen Bussard, einen Milan oder gar einen Adler sah, der sich nach oben schraubte, wo ich es nie erwartet hätte. Es lohnt sich also, von diesen Meistern des Thermikfliegens zu lernen. So mancher schöne Flug kommt dadurch zustande, den man vielleicht sonst nie unternommen hätte. Und wenn man später erzählen kann, dass man einem Adler hinterhergeflogen ist – au Mann!
Das neue RC-Hangflug ist da!

Lust auf mehr, auf mehr Fliegen am Hang? Dann ist es Zeit für das neue RC-Hangflug-Sonderheft (Bestell-Nummer 3501919, erhältlich für 9,90 €), das am 30. Oktober 2019 erscheint, erhältlich am Kiosk oder direkt im VTH-Shop (www.shop.vth. de, Tel.: 07221/5087-22). Diesmal besuchen wir wieder wunderschöne Modellflug-Regionen: Gebidem-Pass in der Schweiz, Pordoij, Latzfonser Kreuz und Kassianspitze in Italien sowie Tauern und Stockenbaum, Zillertal und Drautal in Österreich. Außerdem gibt‘s nützliche Gepäcktipps zum Wandern mit Modellen, wir erklären die verschiedenen Gleitschirm-Typen, besprechen die idealen Geschwindigkeiten beim Landen und bauen uns selbst eine Fliegertrage. Und wir testen typische Hangflugmodelle.