

Digitale Schwerpunktwaage im Eigenbau
Ab in die Küche
Was könnte ein Modellflieger mit den auf dem Aufmacherbild sichtbaren Dingen anfangen? Keine Ahnung? Klarer Fall – Sie haben die FMT 04/2018 nicht richtig gelesen! Die Inspiration zu meinem Projekt entsprang nämlich dem Testbericht über die elektronische (digitale) Schwerpunktwaage GliderCG von Mahmoudi in jener Ausgabe. Zunächst überblätterte ich den Artikel. Hatte ich doch in 40 Jahren über 50 Flugmodelle ohne solchen Schnickschnack in die Luft gebraucht.
Die Sense
Beim abendlichen Glas Rotwein nahm ich die FMT nochmals in die Hand. Wenn sich ein fachkundiges Modellflieger-Urgestein wie Frank Schwartz drei Seiten lang mit so einem Ding beschäftigt, ist vielleicht doch etwas daran? Genüsslich las ich, wie Frank Schwartz praktisch meine eigenen Erfahrungen mit der klassischen Schwerpunkt-Wippe aufzählte. Von wegen nur Druckstellen, hätte ich hinzufügen können. Bei einem „Rutscher“ hatte meine Schwerpunktwippe die Fläche eines nagelneuen 4-m-Seglers so erfolgreich aufgeschlitzt, dass der Holm herausschaute. Seither heißt sie bei mir: Sense.

Mit Grausen erinnerte ich mich auch an den Versuch, mit der Sense die Schwerpunktwanderung meines Brettnurflügels mit im Flug variablem Schwerpunkt (vgl. FMT 12/2017) zu messen. Ständig absturzbedroht, rutschte ich auf Knien unter dem auf dem Wohnzimmertisch aufgebockten Modell herum und versuchte, die Sense rechtwinklig zur Flugachse auszurichten und mittels Bleistift die Schwerpunktlagen an der Flächenunterseite halbwegs präzise zu markieren. Nach längerer Zeit hatte ich schweißgebadet zweifelhafte Ergebnisse produziert.

Wendepunkt
Trotz 40 Jahren „ohne“ hat mich das Plädoyer von Frank Schwartz für die digitale Schwer-punkt-Waage also restlos überzeugt: Die feste gepolsterte Auflage des Modells vermeidet Schäden. Und wenn nichts kippelt oder reibt, ist die Messung präziser. Nur – so ein Ding hätte es vor 40, wenigsten vor 20 Jahren geben sollen. Jetzt ist mein Hangar voll. Der darüber hocherfreuten Gattin hatte ich bereits im letzten Jahr signalisiert, ich hätte mehr als genügend Modelle und würde wohl nichts mehr bauen (mit Bedacht hatte ich den Konjunktiv gewählt). Trotzdem, der FMT-Artikel hatte mich infiziert.

Das Messprinzip
Das Messprinzip der von Frank Schwartz getesteten GliderCG erscheint aus den Fotos in der FMT erkennbar: Zwei Kraftsensoren (Wägezellen) messen die Auflagekräfte an zwei Punkten in definierter Entfernung. Aus den Wägungen und der Entfernung lässt sich die Schwerpunktlage errechnen, das Prinzip zeigt meine Abbildung.
So etwas müsste man doch selbst bauen können, wenn man passende Sensoren auftreiben kann, oder? Tatsächlich, im Katalog eines Elektronik-Händlers fand ich kompakte Kraftsensoren mit geeignetem Messbereich. Allerdings würden zwei davon bereits halb so viel kosten wie eine GliderCG. Dann fehlten aber mindestens noch zwei A/D-Wandler, ein Mikroprozessor, ein selbst zu schreibendes Programm, eine Digitalanzeige, Gehäuse sowie eine Modellauflage samt fachgerechter Krafteinleitung. Obwohl das erste Glas Rotwein nun geleert war, erkannte ich diesen Denkansatz noch rechtzeitig als nicht nur wirtschaftlich abwegig. Learning by Doing könnte mein Vorhaben in die Länge ziehen, wenn nicht gar als Fiasko enden lassen!

Das ist die Lösung
Zuweilen erleuchtet ein zweites Glas Rotwein – jedenfalls dieses Mal. Ich hatte doch schon eine Wägezelle samt fertiger Mechanik und Auswertelektronik und Digitalanzeige: Meine Waage zur Abmessung von Harzen und Bauteilen, mit einem Messbereich von 2 kg und einer Auflösung von 1 g. Ich brauchte also nur noch eine zweite – und hatte meine Gattin nicht eine eventuell brauchbare digitale Küchenwage? Ab in die Küche! Tatsächlich, das Prachtstück meiner Gattin empfahl sich mit ebenfalls einem Messbereich von 2 kg und 1 g Auflösung. Damit sollte man doch Schwerpunkte von Flugmodellen bis etwa 3,5 kg bestimmen können.

Ich war recht zuversichtlich, dass meine Waage geeignet wäre. Bezüglich des Exemplars meiner Gattin, für wenig Geld erstanden aus dem Sortiment eines Rösters von bitterem Kaffee, hatte ich Zweifel, dass damit eine zuverlässige Messung möglich wäre. Die Nacht war noch jung – also machte ich eine Testreihe. Erste Überraschung: Mit Eichgewichten von 50 und 100 g zeigte meine (ehemals deutlich teurere) Waage 99,5 bzw. 150 g an, die „Kaffeewaage“ 100 bzw. 151 g! Voller Reue über mein Misstrauen ernannte ich die „Kaffeewaage“ zur Referenzwaage. Wobei es egal ist, welche der Waagen als Referenz dient. Entscheidend ist nicht, welche Anzeige genauer der Wahrheit entspricht. Sondern nur, dass beide Waagen bei gleicher Auflagekraft das Gleiche anzeigen. Die zweite Überraschung war, dass die Abweichungen der Waagen über den gesamten Messbereich innerhalb von 1% blieben. Gut gelaunt ging ich zu Bett.
Erster Versuch
Am nächsten (Sonntag-) Morgen skizzierte ich die noch fehlende Modellauflage, sägte nach dem Motto „Schnelligkeit sticht Schönheit“ ein paar Holzreste zurecht und pappte diese mit Sekundenkleber zusammen. Leichtbau ist nützlich, denn das Eigengewicht der Modellauflage geht vom nutzbaren Messbereich ab.
Der Praxistest begann mit einem gerade erst fertig gestellten kleinen Brett-Nurflügel. Das Eigengewicht der Modellauflage wurde vor Auflegen des Modells mit der Tara-Funktion der Waagen eliminiert. Die Schwerpunktbestimmung erfolgte zuerst mit meiner Sense, dann digital. Leichtes Stirnrunzeln: Die Ergebnisse stimmten nicht überein, Differenz der Schwerpunkte: rund 1 mm. Bei einem kleinen Brett-Nurflügel (t = 200 mm) ist das bereits signifikant. Welches Ergebnis lag nun näher an der Wahrheit? Egal – wie es Frank Schwartz ja auch geschrieben hat, ist der optimale Schwerpunkt zu erfliegen.
Test der Selbstbau-Lösung
Es bot sich ein weiterer Test meiner „Doppel-Digitalwaage“ an. Angesichts der Schwierigkeiten, die Verlagerung des Schwerpunkts per Laufgewicht in meinem modifizierten Brett #9 (vgl. FMT 12/2017) mittels meiner „Schwerpunktsense“ präzise zu bestimmen, hatte ich seinerzeit die Wanderung des Schwerpunktes auch rechnerisch (genauer) ermittelt. Ich legte das Modell also auf die Doppel-Digitalwaage und prüfte, wie sich die Anzeigen der Waagen beim Verschieben des Laufgewichts per Servo änderten (gesteuert mit dem Sender, wie im Flug). Tatsächlich, die Anzeigen reagierten deutlich und exakt reproduzierbar! Also schnell ausgewertet (siehe Messprinzip) und mit den früheren Messungen und der Berechnung verglichen.

Der Vergleich der Doppel-Digital mit der Rechnung irritierte zunächst. Aber ich hatte etwas vergessen: Bei der früheren Rechnung hatte ich den Normalschwerpunkt mit 87 mm vorgegeben. Also musste der Vergleich mit der aktuellen, digital ermittelten Normalschwer-punkt-Vorgabe 87,9 mm für die Berechnung erfolgen. Und siehe da, nun stellte sich eine sehr gute Übereinstimmung ein. Den Weg des Schwerpunkts hatte die Doppel-Digitalwaage ohnehin mit 1,2 mm exakt ermittelt, wogegen die Bestimmung per „Schwerpunktsense“ mit 1,7 mm deutlich von der Rechnung abwich. Es spricht also alles dafür, dass die digital ermittelte Schwerpunktlagen genauer sind. Erwähnt sei noch, wenn auch banal: Die Summe der angezeigten Auflagekräfte ist das Gesamtgewicht des Modells.
Mein Fazit
Dieses Spontan-Projekt, realisiert mit zwei ohnehin vorhandenen Digitalwaagen, hat die Vorzüge des Messprinzips bestätigt. Meine „Schwerpunktsense“ hat definitiv ausgedient. Wer die Ausgabe für ein Profi-Gerät wie die GliderCG scheut und mit etwas weniger Präzision zufrieden ist, könnte sich im Internet umschauen, wenn heimische Ressourcen nicht verfügbar sind. Digitalwaagen mit Messbereichen bis 2 kg werden bereits unter 10,- € angeboten. Auch solche mit Messbereichen bis 5 kg sind für weniger als 20,- € zu haben. Zu beachten ist: Die Auflösung sollte nicht schlechter als 1 g sein. Zuletzt noch ein wichtiger Hinweis: Harz und Mehl brauchen Sie nicht für den Bau einer Doppel-Digitalwaage!