

HOLZ-NOSTALGIE
1960er Silbermöwe von robbe
Nach all den wunderschönen ARF-Modellen aus GFK und CFK, die ich zuletzt gebaut hatte, kam ich langsam zu der Einsicht, dass Leistung nicht alles ist. Und dass das Selberbauen und Tüfteln bei mir meist zu kurz kommt. Der Wunsch nach einem Modell aus meiner Anfangszeit kam auf, ganz nach Plan und aus Holz gebaut. Da fiel mir die Silbermöwe von robbe aus den 1960er Jahren ein...
MANFRED KOLBE

Sie war mein zweites Modell nach dem damals ganz neuen Amigo II von Graupner. Um es kurz zu machen: Das Projekt endete seinerzeit in einer Katastrophe, ich war damals einfach vom Bau und vom Fliegen her damit überfordert. Dazu kam eine gebrauchte Tip-Tip-Anlage mit ihren Macken. Den Bauplan aber habe ich über all die Jahre nicht weggeworfen. Nachdem ich ihn also einigermaßen geflickt hatte, wurde in einem Copyshop ein Abzug gemacht.
Mit Vorbild
robbe bezeichnete die Silbermöwe damals als ein naturähnliches Flugmodell. Vorbild war zweifelsfrei die Schleicher K 11. Dieser Motorsegler ist nur einmal von seinem Konstrukteur Rudolf Kaiser gebaut worden. Er nutzte dazu Komponenten der vorausgegangenen Segelflugzeuge Ka 6 bis K 9. Sie war das Vorgängermuster für die bekanntere ASK 14. Rudolf Kaiser hatte die K 11 für sich gebaut, damit er auch bei ungünstigem Segelflugwetter noch fliegen konnte. Die K 11 bekam so den treffenden Spitznamen Lückenbüßer. Die Kennung meines Modells (D – KAIS) habe ich von der Originalmaschine übernommen.
Die Silbermöwe von robbe ist aber kein Scalemodell im eigentlichen Sinne. Während Flügelgeometrie, Leitwerksträger und Leitwerk dem Original sehr ähneln, ist der Rumpf im Bereich der Kabine für den Bau und die Funktion ziemlich abstrahiert. Man nahm eine tropfenförmige Haube, die wohl gerade zur Verfügung stand... Ich fand eine passende bei SIG (ArtNr. SIGCS012). Die originale K 11 hatte für Start und Landung ein Rad unter dem Rumpf und Stützräder an den Flächenenden. Das Modell dagegen hat eine großzügige Sperrholzkufe bekommen.

Meine Erwartungen
Was hatte ich mir vom Bau der Silbermöwe erwartet? Zum einen ist es ein sehenswerter Oldie aus den 1960ern, der auf den Modellflugplätzen kaum präsent ist. Andererseits ist es ein Zwischending zwischen Motortrainer und Segler. Ein Hochleistungssegler wird das also nicht. Das Profil dürfte meiner Profilsammlung zufolge ein Göttinger Gö 682 sein, stammt also noch aus der Vor-Eppler-Zeit. Es hat eine Dicke von 11,5%, einen recht großen Nasenradius und eine leicht konkav gewölbte Unterseite. Zu seiner Zeit war es wohl ein „Hochleistungsprofil“ gegenüber dem Clark Y. Also durfte ich erwarten: Wenn mal nicht richtiges Thermikwetter ist, kann man mit dem Modell sicherlich schön in Bodennähe herumturnen, vielleicht geht es aber auch gut bei mäßiger Thermik.
Einfach ist anders
Vorgesehen war für das Modell ursprünglich ein Verbrenner mit 1,5 bis 2,5 cm³. Jetzt musste ein E-Antrieb hinein. Ich wählte einen langsam laufenden AXI 2217/20 mit einer 12×6“-Klappluftschraube und einem 3s-2.200-mAh-LiPo. Den Motorsturz übernahm ich vom Bauplan, auf einen Seitenzug habe ich verzichtet. Einen Motorspant zum Abschluss der Rumpfnase habe ich mir gezeichnet. Von oben sollte alles mit Balsa zugeformt werden, von unten wurde ein Deckel mit Lufthutze eingeplant, damit der Motor bequem ein- und ausgebaut werden kann. Der Bauplan selbst ist schon etwas dürftig gehalten, es fehlt zum Beispiel eine Draufsicht des Rumpfs. Ohne Fantasie und einige Vorkenntnisse hat man es schwer.
Das gilt auch für die Bauanleitung. Es handelt sich um eine maschinengeschriebene A5-Seite nach dem Motto: Der Baufortschritt richtet sich nach der Positionszahl der Stückliste, baue zuerst den Rumpf, dann das Leitwerk, dann die Tragfläche. Baue die Fernsteuerung ein und gehe an einen leichten Hügel zum Einfliegen... Wenn man an die zeitgleichen vorbildlichen Schnellbaukästen von Graupner denkt, liegen Welten dazwischen. Da der Baukasten-Karton sehr klein gehalten war, sollte man auch Holme und Beplankungen schäften – bei 2 m Spannweite! In der Stückliste fällt auf, dass viel unterschiedliches Material verwendet wurde, so beispielsweise auch 1,8-mm-Abachi. Diese Teile habe ich durch hartes 1,5-mm-Balsaholz ersetzt.
Bau des Modells
Nachdem ich das Projekt Silbermöwe ein halbes Jahr vor mir hergeschoben hatte, kam die Corona-Krise. Diese nahm ich gleich zum Anlass für den Baubeginn. Zum Glück sandte mir mein Modellbauhändler das benötigte Material direkt zu. Zunächst habe ich alle Spanten und Rippen abgepaust und ausgesägt. Schwierigkeiten machte die Flügelzunge, die aus 2-mm-Duraluminium auszusägen war. Aber auch das ging mit meiner Dekupiersäge und einem stumpfen Sägeblatt.
Der Bau des Rumpfs verlief unspektakulär, bis auf die Tatsache, dass an der Nase viel zu schleifen war. Leitwerksträger und Leitwerk sind wie bei der originalen K 11 in Gitterbauweise gehalten, in unserem Fall mit Leisten, beim Vorbild mit Rohren. Das Höhenleitwerk habe ich mit einer zentralen M4-Kunststoffschraube befestigt. Bei der Tragfläche wird zuerst der untere Holm auf den Bauplan geheftet. Er muss mit 1-mm-Sperrholzplättchen unterfüttert werden. Dann werden nach und nach die Rippen mit Sekundenkleber aufgesetzt. Der Außenflügel bekommt eine Schränkung ab der Rippe 62. Dazu habe ich einen 340 mm langen Keil von 0 auf 5 mm Höhe angefertigt und unter die Rippenenden gelegt. Wenn das Gerippe mit Oberholm, Nasenleiste, Zungenkasten und Versteifungen fertig ist, wird es mit 1,5-mm-Balsa beplankt. Ich bin auch bei der unteren Nasenbeplankung bis zum Hauptholm gegangen – im Plan reicht sie nur bis zum Hilfsholm.

RC-Ausrüstung und Einstellungen
Jetzt können die Servos und Rudergestänge eingebaut werden. Der Flugakku verschwindet ganz vorne in der Rumpfnase. Für einen, der enge Seglerrümpfe gewohnt ist, erscheint der vorhandene Raum und die Zugänglichkeit fantastisch. Die Befestigung des abnehmbaren Rumpfdeckels mit Gummis habe ich übrigens so belassen, das sieht auch etwas retro aus. Bespannt habe ich Tragfläche und Rumpf mit Oracover. Da alle Bauteile steif und verdrehfest sind, könnte man aus Gewichtsgründen auch Oralight einsetzen.
Die Überprüfung der EWD erwies sich als etwas problematisch. Meine EWD-Waage nimmt die Flügelvorderkante und die Endleiste über Prismen auf. Daraus folgten aber nur unsinnige Ergebnisse. Ich habe daher aus dem Bauplan den Winkel von der Profilunterseite zum Höhenleitwerk mit etwa 1,5 Grad herausgemessen. Daraus ergab sich, dass ich das Höhenleitwerk vorne mit 4 mm unterlegen musste. Den Schwerpunkt habe ich wie im Plan angegeben (mit 80 mm hinter der Flügel-Vorderkante) ausgewogen. Flugfertig ergab sich schließlich ein Modellgewicht von knapp 1.500 g. Folgende Ruderausschläge habe ich eingestellt: Seitenruder 60 mm (links/rechts), Höhenruder 20/10 mm (hoch/runter, jeweils innen gemessen).
robbe Silbermöwe
Spannweite: 2.000 mm
Rumpflänge: 1.100 mm
Flächeninhalt: 37,4 dm²
Gewicht: ca. 1.500 g
Motor: AXI 2217/20
Luftschraube: 12×6“
Regler: Jeti Advance 30 Pro
Akku: 3s-2.200-mAh-LiPo
Fliegen mit der Silbermöwe
Der erste Start erfolgte aus der Hand, unter der Tragfläche gibt es dafür genügend Greiffläche. Der Motor zog die Silbermöwe gleich zügig nach oben weg. Ich musste etwas Tiefe nachtrimmen. Beim Erfliegen des optimalen Abfangbogens wurden noch rund 50 g Blei in der Nase nachgerüstet. Danach flog sie sehr gutmütig. Es folgten tiefe Vorbeiflüge und die ersten Turns und Loopings. Das Modell machte klaglos alles mit, es ist stabil genug. Zweiachs-Kunstflug ist also ohne Bedenken möglich.
Und die Möwe gleitet gar nicht mal so schlecht, wie ich befürchtet hatte. Natürlich hat sie nicht den Gleitwinkel heutiger Leistungsmodelle, aber schlecht ist sie auch nicht. Beim dritten Flug schließlich kam ich in die Thermik. Die Silbermöwe fühlte sich dort richtig wohl und ließ sich schön flach kreisen, sicherlich bedingt durch die 14-Grad-V-Form und die Schränkung. Lange hatte ich mir bei der Planung überlegt, Störklappen einzubauen. Ich entschied mich aber dagegen. Dass diese Entscheidung richtig war, zeigte sich in der Praxis: Man kann schön flach hereinkommen und das Modell langsam mit dem Motor zum Landepunkt schleppen. Die langsam drehende Luftschraube wirkt dabei fast wie eine Bremse. Später habe sogar den Bodenstart versucht, mit einem Startwagen. Das funktionierte super, der Motor zog das Modell kräftig und unproblematisch in die Luft. Von da an war das meine Standard-Startart mit der Silbermöwe.

Mein Fazit
Alles in allem kann ich sagen, dass sich die Mühen gelohnt haben. Gerade die Silbermöwe hat bei der Projektierung, beim Bau und beim Fliegen viel Freude gemacht. Sie ist natürlich kein Hochleistungsmodell, aber vielseitig einsetzbar. Und sie hat ein tolles, nicht alltägliches Flugbild. Es macht Spaß, mit ihr in Bodennähe herumzuturnen – und ist einmal Thermik da, will sie nicht mehr heraus. Die Silbermöwe ist wie ihr Vorbild, die Schleicher K 11, eben ein richtiger Lückenbüßer.