INTERNATIONAL

In der Siedlung Fogo in Zürich steht die Stärkung vom Miteinander im Zentrum
Foto: Einfach Wohnen

Neue Wohnformen für eine diverse Stadtgesellschaft


Jugendliche und junge Erwachsene in der Lebensphase zwischen 15 und 30 Jahren sind eine heterogene Nutzergruppe mit rasch wechselnden Wohnanforderungen. Im Wohnbau ist besonders das direkte Wohnumfeld für die Lebensqualität entscheidend.

STEPHANIE DRLIK

WohnenPlus digital: mehr online unter wohnenplus.at

Entspricht das Freiraumangebot nicht, wandern junge Nutzer für Freizeitaktivitäten in andere Stadträume ab. „Junge Menschen wollen grundsätzlich nicht anecken“, erklärt die Baukulturvermittlerin Sybille Bader vom Verein Wanderklasse aus ihrer langjährigen Arbeitserfahrung mit Jugendlichen. „Durchlässig und offen konzipierte Bebauungsstrukturen schaffen Durchmischung und Diversität, das kommt den Bedürfnissen Jugendlicher und junger Erwachsener entgegen, denn sie suchen den sozialen Austausch“, berichtet Bader, die auch als Beraterin für die Planung von jugendgerechtem Wohnen tätig ist. „In Städten macht Jugendlichen und jungen Erwachsenen, besonders Zugezogenen aus dem ländlichen Raum oder dem Ausland, die Anonymität der Großstadt zu schaffen“, weiß Sybille Bader aus ihren Gesprächen mit Jugendlichen. Um dem entgegenzuwirken, sind öffentlich nutzbare Räume ohne Konsumationszwang im nahen Wohnumfeld wichtig. „Dort kann man sich mit anderen aus dem Grätzl vernetzen“, so Bader. Nahegelegene und gut ausgestattete Parks und Plätze für sozialen Austausch sowie die Ausübung von Sport und Bewegung sind daher ebenso essenziell, wie der passende direkte Wohnungsfreiraum.

Für die etwas ältere Gruppe der jungen Menschen bis 30 Jahre sind neben der gewünschten Gemeinschaftlichkeit Themen wie Flexibilität, Shared-Angebote, eine gute Anbindung an den öffentlichen Verkehr und qualitätsvolle Fußund Radwegeverbindungen wichtig. Und selbstverständlich ist die Leistbarkeit des Wohnens das Um und Auf bei der Wohnentscheidung. „Immer mehr junge Menschen stehen vor der Wahl, entweder bei den Eltern wohnen zu bleiben, oder eine überteuerte Privatwohnung zu beziehen“, so die Baukulturvermittlerin. Zweiteres ist jedoch nur dann eine Option, wenn sie überhaupt Zugang zum freien Wohnungsmarkt bekommen, was alles andere als selbstverständlich ist. Denn selbst wenn die finanziellen Mittel vorhanden sind, fehlen oftmals abgefragte Bürgschaften oder Job-Referenzen. Von der Ausgrenzung aus dem Wohnungsmarkt sind daher ohnehin benachteiligte Bevölkerungsgruppen wie Flüchtlinge und Bewohner mit Migrationshintergrund sowie junge Erwachsene in Ausbildung oder zu Beginn ihrer Berufstätigkeit besonders betroffen. Städte und Wohnpartner stehen daher vor der dringlichen Aufgabe, alternative Angebote für mehr Chancengleichheit zu schaffen. Denn letztlich stellen gerade Jugendliche und junge Erwachsene eine enorm wichtige Bevölkerungsgruppe für die positive Entwicklung unserer Stadtgesellschaften der Zukunft dar.

Temporär – spektakulär: Günstige Zwischennutzung als Wohnraum für die Jugend, mitten in Zürich
Foto: Fogo

Fogo – Leben am Vulkanplatz

Fogo ist eigentlich der Name einer kapverdischen Vulkaninsel. Nahe dem Züricher Bahnhof Altstetten wurde Fogo aber, bezugnehmend auf den angrenzenden Vulkanplatz, zu einem neuen, ganz besonderen Stadtquartier. Auf einem als Parkplatz genutzten und zwischen Autobahn und Bahnhof gelegenen Grundstück entstand eine temporäre Wohnund Ateliersiedlung. Es handelt sich um ein Gemeinschaftsprojekt der Stiftung für bezahlbare und ökologische Wohnungen – Einfach Wohnen (SEW), der Zürcher Fachorganisation für Migration und Integration (AOZ) und des Jugendwohnnetzes zur Vermietung von Wohnraum an junge Erwachsene in Ausbildung (Juwo). Die AOZ hat eine andernorts abgesiedelte temporäre Wohnanlage eingebracht, die SEW investierte in ein neues, ökologisches Modulbauprojekt. Gemeinsam wurde leistbarer Wohnraum für Flüchtlinge, junge Erwachsene in Ausbildung, Kulturschaffende und Gewerbetreibende als temporäres Alternativangebot zum in Zürich überteuerten Wohnungsmarkt geschaffen.

Die Module sollen für die nächsten 20 Jahre zur Verfügung stehen und Wohnen in Kombination mit Gastronomie, Kleingewerbe, Kultur- und Bildungsangeboten bereitstellen. Die neuen Module bieten neben rund 100 günstigen Wohnplätzen in Dreier- und Fünfer-WG, die an bis zu 250 junge Menschen in Ausbildung vermietet werden, Gewerberäume, eine Gastronomiefläche und 20 Ateliers in verschiedenen Größen. Die Arbeitseinheiten formieren sich auf dem lärmexponierten Areal wie ein Lärmschutzmantel um die Wohnungen.

Miteinander stärken

Die Fogo-Siedlung ist neben einem Wohnort vor allem eine große Begegnungszone mit Spiel- und Freizeitangeboten. Es gibt zahlreiche Innen- und Außenräume zum Verweilen, Spielen, Treffen und zur Nutzung für Gemeinschaftsprojekte und Veranstaltungen. Ein öffentlich zugänglicher Spielplatz und der Gastronomie-Außenraum dienen als offener Treffpunkt für das gesamte Quartier und Besucher. Hier geht es darum, Menschen mit unterschiedlichen Lebenshintergründen zusammenzubringen und das Miteinander zu stärken.

Dabei ist Flexibilität das Gebot der Stunde und so wird das Areal etappenweise bezogen und bleibt dadurch für längere Zeit in Entstehung. Denn Fogo soll sich als Wohn-, Arbeits- und Freizeitort vielfältig weiterentwickeln und verändern dürfen – jeweils nach den Vorstellungen der gerade beteiligten Bewohner und Nutzer.

Dabei hat man mit vorgefertigten Raummodulen gearbeitet, die innerhalb eines halben Jahres bereit für den Bezug standen. Der bunte Ostteil des Containerdorfes mit gemeinschaftlichen Funktionen wurde für die AOZ von hoffmannfontana architekturen (Zürich) geplant, der in Holz und schlichtem Grau gehaltene Westteil der SEW stammt von der Arbeitsgemeinschaft KHS Appenzell (Nikolaus Hamburger/ HDPF, Johannes Kaufmann Architektur, Simuba Immobilien-Bau-Management).

Jeder Container verfügt neben einzelnen Zimmern über gemeinsame Wohnbereiche mit Tisch, Sofa und Küchenanrichte. Diese Container-Bauweise ermöglicht nicht nur bezahlbare Mieten, sondern auch die Einhaltung ökologischer Standards. Nach der mit der Stadt vereinbarten 20-jährigen Nutzungsdauer des Grundstücks sollen die Wohncontainer ab- und an einem neuen Standort wieder aufgebaut werden.

„Die Idee eines Zwischennutzungsprojekts entstand aus der Schwierigkeit, im hart umkämpften Immobilienmarkt der Stadt Zürich kostengünstige Objekte zu finden“, erzählt die SEW-Stiftungsrätin Julika Kotai. „Temporäres Wohnen passt deshalb so gut, weil die Wohnsituation sowohl von Flüchtlingen als auch von jungen Menschen in Ausbildung kurzlebig ist.“ Was das Projekt daher so bemerkenswert macht, ist nicht nur die Schaffung leistbaren Wohnraums, sondern vor allem die durchmischte Gemeinschaftsbildung. Es wird auf einfache und positive Weise die Inklusion von Migranten unterstützt und so diversere und zukunftsfähigere Stadtgesellschaften geschaffen.

Etwas anders wohnen

Wohnbau Fogo in Zürich, Stadtteil Altstetten; Kombination aus bestehenden Wohnmodulen nach ökologischen und energetischen Standards (laut Vorgaben der 2000-Watt-Gesellschaft):

33 bezahlbare Wohnungen mit jeweils drei bis fünf Schlafzimmern, davon 22 für Mieter in Ausbildung und elf für Geflüchtete

Miete pro Zimmer für Studierende: 550 Franken brutto

Erstellungskosten: rund 12 Millionen Franken

Nächster Artikel
X
Nächster Artikel
X
Geschäft mit den Jungen?
X
aus WohnenPlus Heft3_2021
Dieser Artikel ist aus
X
WohnenPlus Heft3_2021

WohnenPlus Heft3_2021

2021-09-14

STANDPUNKT

Cover

l „Wohnexperimente wären so extrem wichtig“

Karin Schmidt-Mitscher, Geschäftsführerin im Österreichischen Volkswohnungswerk (ÖVW), sieht im jungen Wohnen vor allem den Auftrag, über andere, innovative Wohnformen nachzudenken. Doch in Anbetracht der hohen Grundstückskosten und wenigen Bauträger-Wettbewerbe sind große Experimente derzeit kaum möglich. Ein Aufruf.

PLUSPUNKTE

Cover

l PLUS PUNKTE

Generationenwechsel Bei der Generalversammlung im Juni wurde bei der „Wien-Süd“ ein Generationenwechsel vollzogen: Nach 50 Jahren Obmannschaft übergab Maximilian Weikhart seine Funktion an den bisherigen Obmannstellvertreter Andreas…

MEIN WOHNENPLUS

Cover

l Nett und ein bisschen schick

Vor 20 Jahren wurde das Studentenheim im Gasometer der WBV-GPA eröffnet. Auch wenn damals die Architekturkritik das Projekt nicht sehr freundlich rezensierte – mit den meisten neueren Heimen hält es locker mit. Vom Preis-Leistungs-Verhältnis gar nicht zu reden.

THEMA

Cover

l Jugend wohnt wie gewohnt?

Wie wollen junge Menschen heute wohnen und wo finden sie Angebote, die ihren Wünschen entsprechen? Das Feld der Wohnformen für Jugendliche und junge Erwachsene ist ebenso divers wie die Bevölkerungsgruppe selbst. Die Preisspanne reicht von Wohnungen, die auch mit einem Anfängergehalt leicht selbst…


Cover

l Balkon, Badewanne und das neue Biedermeier

Die Jugend von heute hat es schwerer, Zugang zu leistbaren Wohnungen zu finden, als die Elterngeneration. Zugleich sind die Ansprüche an die erste eigene Wohnung ebenso hoch wie das Bedürfnis nach Sicherheit und traditionellen Werten. Steht nach der Landflucht die Stadtflucht bevor? Oder locken die neuen, gut ausgestatteten Studentenheime die Landjugend doch noch in die Großstadt?


Cover

l Die drei G und L des jungen Wohnens

Gute Grundrisse, Gärten, Gemeinschaftsräume: Die drei G beim jungen Wohnen. Doch mehr als das zählen die L: Leistbarkeit, Lage, Luxus.


Cover

l Spaß und Ernst

Welche Wünsche haben Jugendliche und junge Menschen an ihr Quartier und Wohnumfeld? Vor allem Gemeinschaft, Bewegung und hohe Qualität.


Cover

l Was junges Wohnen kostet

Junges Wohnen bedeutet nicht zwingend günstiges Wohnen. Obwohl die finanziellen Mittel oft knapp sind, zahlen junge Menschen im Durchschnitt die höchsten Mieten. Bauträger wollen neben kompakten Grundrissen mit einer guten Infrastruktur, teilmöblierten Wohnungen und Gemeinschaftsangeboten bei der jungen Klientel punkten.

THEMA/REPORTAGE

Cover

l Vollgas mit Leo und Leonie

Das Gaswerk Leopoldau wurde massiv redimensioniert und machte auf diese Weise Platz für eines der spannendsten Stadtentwicklungsgebiete Wiens, Neu-Leopoldau. Auf rund 14 Hektar entstehen insgesamt 1.400 Wohnungen, die zwischen Bäumen und alten Pavillons noch die Stimmung von anno dazumal versprühen. Ein Spaziergang mit Fritz Kittel, Geschäftsführer der EGW Heimstätte.

THEMA/INTERVIEW

Cover

l Stiller Aktionismus

Ein Gespräch mit dem Architektenteam von feld72 – Anne Catherine Fleith, Mario Paintner und Richard Scheich verraten ihr Erfolgsrezept: Das Thema Wohnen muss generell jung und experimentell angegangen werden.

EN PASSANT

Cover

l SKATEPARK DAMASKUS

Ein Beitrag zur Völkerverständigung In Zusammenarbeit mit „skate-aid“ und „SOS Kinderdörfer Weltweit“ realisierte „Betonlandschaften“ dieses außergewöhnliche Projekt in Syriens Hauptstadt. skate-aid will gemeinsam mit den SOS Kinderdörfern die Situation der vielen traumatisierten Kinder in Damaskus…

SYMPOSIUM

Cover

l Der Weg ist das Ziel

Beim 70. Wohnsymposium ging es um Mobilität und Transport in der Stadt. Die Klimakrise zwingt zum Umdenken, noch geht es nicht ohne den privaten Autoverkehr, doch auch Liefer- und Transportwege müssen neu gedacht werden. Was bedeutet das für den Wohnbau? Fazit: Der Weg ist das Ziel – multimodal und klimafreundlich.

DIETRICH | UNTERTRIFALLER ARCHITEKTEN

Cover

l Agil denken für räumlichen Mehrwert

Bei Dietrich | Untertrifaller Architekten wird von anderen Branchen gelernt und proaktiv in Sachen ökonomischer Wohnbau geforscht. Von Maria Megina, Partnerin im Wiener Büro, und Much Untertrifaller wollten wir wissen, an welchen Schrauben zu drehen wäre und welche Wohnbauthemen das Büro aktuell beschäftigen.

ZU GAST BEI ...

Cover

l Agil denken für räumlichen Mehrwert

Bei Dietrich | Untertrifaller Architekten wird von anderen Branchen gelernt und proaktiv in Sachen ökonomischer Wohnbau geforscht. Von Maria Megina, Partnerin im Wiener Büro, und Much Untertrifaller wollten wir wissen, an welchen Schrauben zu drehen wäre und welche Wohnbauthemen das Büro aktuell beschäftigen.

FORSCHUNG

Cover

l Wohnungsfragen ohne Ende

Die „Wohnungsfrage“ ist mindestens 150 Jahre alt und stellt sich doch stets neu. In den 1920er-Jahren brauchte es andere Antworten als 50 Jahre später oder heute. Doch es gibt nicht nur die eine „Wohnungsfrage“, sondern viele Fragen zum Wohnen: steigende Preise in der Stadt, kein bedarfsgerechtes Angebot am Land, klimaschädliche Einfamilienhäuser im Speckgürtel – was tun?

INTERNATIONAL

Cover

l Neue Wohnformen für eine diverse Stadtgesellschaft

Jugendliche und junge Erwachsene in der Lebensphase zwischen 15 und 30 Jahren sind eine heterogene Nutzergruppe mit rasch wechselnden Wohnanforderungen. Im Wohnbau ist besonders das direkte Wohnumfeld für die Lebensqualität entscheidend.

POSITIONEN

Cover

l Geschäft mit den Jungen?

Bauträger sind vor allem bei der Jugend gefordert – denn die Ansprüche steigen, ein kleines „Studierzimmer“ ist zu wenig. Doch trotz mehr Komfort – wird auch mehr bezahlt? Zwei Sichtweisen von erfahrenen Bauträgern.

TRENDS

Cover

l Wohnbau-News

Mit viel Spürsinn für Zukünftiges, Neues und Herausragendes tragen wir für Sie Trends im Wohnbau zusammen.

PROFIL SOZIALBAU

Cover

l Vom Neubau-Labor in die Altbau-Praxis

Die Sozialbau arbeitet gerade an ein paar ökologischen Leuchtturm-Projekten. Doch die wahre Herausforderung wird sein, so Generaldirektor Josef Ostermayer, die Erkenntnisse aus dem Neubaubereich so rasch wie möglich auf den riesigen Bestand zu übertragen. Denn: 2040 ist übermorgen.

PROFIL WOHNFONDS

Cover

l Planen mit langem Atem

Der wohnfonds_wien hat seit mehr als 25 Jahren die langfristige Stadt- und Quartiersentwicklung im Blick. Eine neue Initiative und ein neuer Beirat werden ab Herbst diese Entwicklung stärken.

PROFIL IBA WIEN

Cover

l Quatschbude, Soundtown und Action-Place

Zahlreiche Initiativen im Rahmen der IBA_Wien 2022 entwickeln Ideen, um Jugendliche und junge Menschen in die Stadtentwicklung einzubinden. Die wesentlichen Zugänge: Bildung und Sport.

PROFIL ZT

Cover

l Interdisziplinär und gemeinsam

BIM ist längst keine abstrakte Zukunftsvision mehr, sondern ein wertvolles praxistaugliches Tool für komplexe Planungsprojekte. Von der Arbeitsmethode profitieren alle – vom Ingenieur, Architekten bis zum Bauherren.

MEDIENPARTNER

Cover

l MEDIENPARTNER

71. Wohnsymposium „Die Zukunft des Wohnens“ Thema: Erneuerbare Energie im Wohnhaus: Vision oder Baustandard Österreich muss bis 2040 klimaneutral sein, so steht es im Klimaschutzprogramm der Bundesregierung. In bereits neun Jahren soll Strom zur Gänze aus erneuerbaren Quellen kommen, heißt es im…

KUNST AM BAU

Cover

l Von der Rollbahn in die Garage

Hatten die großen Errungenschaften des digitalen Zeitalters ihren Ausgang oftmals in einer Garage, so führt der Weg in Sachen Kulturstandort Seestadt in eine ebensolche.